Operation Libero 7 falsche Hasen

Die sieben falschen Hasen der "Selbstbestimmungsinitiative"

Weil in diesem Abstimmungskampf viel, wirklich viel Blödsinn erzählt wird und weil vor allem von vielen Dingen die Rede ist, die überhaupt nichts mit dem Thema zu tun haben: Hier unser Artikel darüber, um  was es in dieser Initiative NICHT geht.

Von Stefan Schlegel, Mitglied Vorstand Operation Libero Schweiz

Selten wurden bei einer Initiative munter Themen aufgeworfen, die mit der dem eigentlichen Abstimmungsthema nichts oder fast nichts zu tun haben. Das hat mit der grossen Komplexität des Themas zu tun und damit, dass das eigentliche Ziel der Initiative – die Unterschreitung menschenrechtlicher Mindeststandards und die Möglichkeit, alle drei Staatsgewalten fortwährend angreifen zu können – so unattraktiv sind für eine politische Kampagne. Es folgt darum eine Liste von Dingen, mit denen die Initiative nichts zu tun hat. Anschliessend wird zu allen Punkten kurz erläutert, warum sie zu dieser Initiative sachfremd sind: Fremde Richter, die Rettung der Direkten Demokratie; die Stärkere demokratische Beteiligung der Stimmbevölkerung an völkerrechtlichen Entscheidungen; eine Wiederherstellung einer Praxis, die bis 2012 angeblich selbstverständlich war, insbesondere geht es nicht um die sog. Schubert-Praxis; um die Übernahme technischer Standards und Empfehlungen; um ein Rahmenabkommen oder um einen Wechsel vom Monismus zum Dualismus.

Falscher Hase 1: Fremde Richter

Die Schweiz untersteht nirgends, durch keinen einzigen Vertrag fremden Richtern. Zwar ist sie Mitglied einiger internationalen Organisationen mit Gerichten (z.B. der UNO mit dem Internationalen Gerichtshof oder dem Europarat mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte), aber bei diesen Organisationen ist sie ja eben Mitglied. Es sind also gemeinsam Richter, nicht fremde Richter.

Falscher Hase 2: Die Rettung der Direkten Demokratie

Die Direkte Demokratie in der Schweiz ist nicht in Gefahr.  Es steht alles nach wie vor zur Disposition der Stimmbevölkerung und der Stände. Ausser das zwingende Völkerrecht, das auch von dieser Initiative ausdrücklich ausgenommen ist. Von jedem Vertrag, den die Schweiz eingegangen ist, kann das Stimmvolk ohne Weiteres die Kündigung verlangen und sich damit von der Bindung lösen, die der Vertrag uns auferlegt und von den Regeln, die er enthält. Insofern ist das Völkerrecht schlicht keine Bedrohung für die Direkte Demokratie und muss nicht von ihm gerettet werden. Zwar stimmt es, dass die internationale Regulierungsdichte zunimmt. Aber wir entscheiden immer noch selber, wo wir mitmachen und wo nicht. Es stimmt auch, dass sich der Preis zunehmend erhöht dafür, wenn man nicht mitmachen möchte. Die Chancen, die einem dadurch entgehen, werden grösser, der Schaden, den man davon hat auch. Aber ob wir diesen Preis bezahlen möchten oder nicht, das bestimmen wir weiterhin selbständig. Daran hat sich nichts geändert.

Falscher Hase 3: Die Verbesserung der Beteiligung des Stimmvolkes an völkerrechtlichen Fragen

Zuweilen wird argumentiert, wenn das Völkerrecht wichtiger werde (was es wird), dann müsse das Stimmvolk auch besser an den Entscheiden beteiligt werden, ob wir völkerrechtliche Verpflichtungen eingehen oder nicht. Das stimmt. Wir würden auch gerne öfter über die EIngehung oder die Auflösung völkerrechtlicher Verpflichtungen mitbestimmen können. Nur hat das nichts mit dieser Initiative zu tun. Die Initiative verbessert in keiner Weise die Beteiligung der Stimmbevölkerung an Beschlüssen über internationale Verträge. Sie betrifft lediglich die Abstimmung über Verfassungsänderungen, nicht über Verträge. Die Beteiligung der Bevölkerung an völkerrechtlichen Entscheidungen würde sogar verschlechtert. DIe Initiative würde ja dazu führen, dass Verträge gekündigt werden müssen, über deren Ratifizierung das Stimmvolk abstimmen konnte, deren Kündigung aber erfolgt, ohne dass das Volk gefragt wurde und ohne dass die Kündigung mehrheitsfähig wäre.

Falscher Hase 4: Es geht nur darum, wieder herzustellen, was bis 2012 selbstverständlich war

Die Initianten machen gerne geltend, bis 2012 sei das, was sie fordern eine Selbstverständlichkeit gewesen, und dann von einem Bundesgerichtsurteil, das sie als einen stillen Staatsstreich empfinden, ohne demokratische Legitimation umgekehrt worden. Aber die Volksinitiative betrifft das Verhältnis von Völkerrecht und Verfassungsrecht. Hierzu gab es keine Praxis, nur unterschiedliche Meinungen. Im richtigen Leben hat sich das Problem bis vor Kurzem so selten gestellt, dass es keinen Bundesgerichtsentscheid dazu gab. Was es gab, war der sog. Schubert-Entscheid aus den frühen 70er Jahren, der für das Verhältnis von Bundesgesetzen und Völkerrecht unter sehr bestimmten Bedingungen vorsah, dass das Gesetz dem völkerrechtlichen Vertrag vorgehe und der Vertrag daher verletzt werden müsse. Der Entscheid ist so aber seither nie mehr wiederholt worden. Die Bedingungen für seine Anwendung sind lediglich immer strenger gefasst worden. Aber die Rechtsprechung ist weder 2012 aufgehoben worden, noch würde die Initiative die Aufhebung rückgängig machen. Sie betrifft ein ganz anderes Verhältnis, jenes zwischen der Verfassung und Verträgen, nicht jenes zwischen Gesetzen und Verträgen.

Falscher Hase 5: Wir müssen immer mehr Standards übernehmen, ohne etwas dazu zu sagen zu haben

Vor allem bezüglich des EU-Rechtes gibt es zahlreiche Anekdoten, was dieses nicht alles Regle. Die Gurkenkrümmung, den Traktorsattel, die Grösse des Klodeckels. Und wir müssten das alles übernehmen, damit müsse nun Schluss sein. Wo solche Geschichten nicht ohnehin stark übertrieben sind, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder die Verpflichtung zur Übernahme ergibt sich aus einem völkerrechtlichen Vertrag, dann haben wir uns selber nach einem demokratisch legitimierten Verfahren zu deren Übernahme entschlossen, oder die Übernahme hat nichts mit einer völkerrechtlichen Pflicht, sondern mit einem ökonomischen Sachzwang zu tun. Letzteres ist oft der Fall. Wenn grosse Regulatoren, wie die USA oder die EU neue Standards erlassen, haben exportorientierte kleine Staaten wir die Schweiz zwei Möglichkeiten: Entweder sie übernehmen diese neuen Standards, oder Produkte können nicht dorthin exportiert werden. Dass wir keine Wahl haben, ist bedauerlich, aber es besteht keine rechtliche Pflicht zur Übernahme, sondern ein ökonomischer Druck. Für diesen ist es völlig egal, wo wir das Völkerrecht im Verhältnis zum Landesrecht platzieren. Der ökonomische Sachzwang wird so oder so nicht weggehen.

Falscher Hase 6: Rahmenabkommen

Gerne wird die Initiative dargestellt als Bollwerk gegen ein Rahmenabkommen mit der EU. Doch der Zusammenhang ist unklar. Ein Rahmenabkommen ist heute schon enorm schwierig, abzuschliessen und so zu gestalten, dass es in der Schweiz mehrheitsfähig ist. Nach der Annahme der Initiative würde dessen Abschluss zwar noch schwieriger (wie der Abschluss von Verträgen überhaupt erschwert würde), aber in keiner Weise verunmöglicht. Sowohl die dynamische Rechtsübernahme bliebe an sich möglich, als insbesondere auch die Unterstellung unter den europäischen Gerichtshof in Luxemburg (EuGH), dem die Schweiz nicht angehört und der daher tatsächlich so etwas wie ein fremdes Gericht wäre. Insbesondere bliebe es möglich, vom Vorrang des Verfassungsrechtes vor dem Völkerrecht eine Ausnahme zu machen für das Recht des Rahmenabkommens, so wie auch die EU-Mitgliedstaaten dem Recht der EU einen Vorrang - auch vor ihrer Verfassung – einräumen müssen, damit das europäische Projekt, damit sein Binnenmarkt und seine politischen Institutionen funktionieren können.

Falscher Hase 7: Dualismus statt Monismus

Eine Frage, die oft mit dem Rang des Völkerrechts vermischt wird, ist, wie das Völkerrecht im Landesrecht Geltung erlangt. Es gibt Staaten, die das Völkerrecht und das Landesrecht als Teil einer einheitlichen Rechtsordnung auffassen (Monismus) und andere Staaten, die das Völkerrecht und das Landesrecht als getrennte Rechtsordnungen auffassen und das Völkerrecht jeweils in Landesrecht “umgiessen” müssen, ehe es innerstaatlich anwendbar ist (Dualismus). Die Schweiz ist ein monistisches Land und oft wird die Idee ins Spiel gebracht, zum Dualismus zu wechseln, weil man im Prozess des “Umgiessens” ins Landesrecht noch einen “Swiss finish” durchführen, und gewisse Dinge nicht mit umgiessen könnte, die mit dem Landesrecht in Konflikt sind. Aber ein solcher selektiver Prozess, der dann zum Beispiel dazu führen würde, dass man gewisse menschenrechtliche Garantien nicht übernähme würde die Pflichten aus dem völkerrechtlichen Vertrag verletzen, womit man wieder bei der Frage des Ranges des Völkerrechts gegenüber dem Landesrecht ist. Dieser Frage, und dem Umstand, dass das Völkerrecht verlangt, dass Verträge eingehalten werden, könnte auch der Dualismus nicht entrinnen. Es ist also eine sachfremde Frage.