Für ein modernes Sexualstrafrecht

Nur Ja heisst Ja: Wie wir die sexuelle Selbstbestimmung schützen wollen

Zur Revision des Sexualstrafrechts

Operation Libero beteiligt sich aktiv an der Revision des Schweizer Sexualstrafrechts. Warum fordern wir die sogenannte “Nur Ja heisst Ja”-Lösung?

Wann wird das sexuelle Selbstbestimmungsrecht missachtet? Wann handelt es sich rechtlich um eine Vergewaltigung? Sollen wirklich nur Frauen als Opfer einer Vergewaltigung gelten können? Um solche Fragen dreht sich die aktuelle Revision des Schweizer Sexualstrafrechts. 

Dass es eine Revision gibt, begrüssen wir grundsätzlich, denn der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung ist für einen modernen liberalen Rechtsstaat zentral. Doch laut dem ersten Vorentwurf der zuständigen Kommission des Ständerates soll vieles beim Alten bleiben. Das stört uns, denn nur die “Nur Ja heisst Ja”-Lösung kann die sexuelle Selbstbestimmung wirklich gewährleisten.

Deshalb haben wir in kürzester Zeit das Team Sexualstrafrecht gegründet. Über 50 interessierte Personen haben sich auf unseren Aufruf Anfangs März gemeldet. Und so haben wir unsere Köpfe zusammengesteckt und gemeinsam eine Libero-Vernehmlassungsantwort verfasst.

In diesem Blogbeitrag zeigen wir dir die wichtigsten Punkte auf und erklären, was uns bei der Revision des Sexualstrafrechts am Herzen liegt.

Internationale Abmachungen einhalten mit liberalem Sexualstrafrecht

Die “Sexuelle Selbstbestimmung” – auch “Sexuelle Integrität” genannt – ist ein vergleichsweise “junges” Rechtsgut, das erst Ende des 20. Jahrhunderts explizit in Strafgesetzbüchern Eingang fand. Dort verdrängte es das Konzept der “Sittlichkeit”, das stark von den gerade herrschenden sozialen und moralischen Anschauungen abhing. Endlich wurde das Individuum ins Zentrum gestellt: Das Individuum soll sich im Bereich der Sexualität unabhängig von äusseren Zwängen oder Abhängigkeiten frei entfalten und entschliessen können.

Aus unserer Vernehmlassungsantwort

Sexuelle Selbstbestimmung gehört in einem modernen liberalen Rechtsstaat mit zu den wichtigsten zu schützenden Individualrechtsgütern. Ein modernes Sexualstrafrecht muss widerspiegeln, dass das grundlegende Unrecht eines sexuellen Übergriffs nicht in Gewaltanwendung oder Bedrohung liegt, sondern in der Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des Opfers.

Operation Libero

Hinzu kommt, dass nach der Istanbul-Konvention, dem Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, welches seit 2018 in der Schweiz in Kraft ist, die fehlende Zustimmung im Mittelpunkt jeder rechtlichen Definition von Vergewaltigung und anderer Formen sexueller Gewalt stehen muss.

Doch der Revisionsentwurf der Kommission für Rechtsfragen des Ständerates nimmt genau diese zentrale Forderung – nämlich die Vergewaltigungsdefinition auf das sogenannte Zustimmungsprinzip auszuweiten – nicht auf. Laut Entwurf soll diesbezüglich alles beim Alten bleiben: Nur wenn sich ein Opfer wehrt, soll es sich um eine Vergewaltigung handeln. Damit wird den Opfern bei Fällen von sexueller Gewalt eine Mitverantwortung gegeben.

Chance für ein modernes Sexualstrafrecht nutzen

Es besteht also die grosse Gefahr, dass hier eine Chance verpasst wird, die Grundlagen für ein modernes Sexualstrafrecht zu schaffen, das 

  • in Einklang mit internationalen Normen und Verpflichtungen steht, 
  • längst überholte Vorstellungen von sexualisierter Gewalt hinter sich lässt, 
  • breit abgestützte Anliegen aus der Zivilgesellschaft und neue Erkenntnisse aus der Wissenschaft aufnimmt 
  • und den Schutz der sexuellen Selbstbestimmung auch tatsächlich und umfassend zu verwirklichen vermag.

Um das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung tatsächlich und umfassend zu schützen, sind nicht nur punktuelle Änderungen vorzunehmen, sondern es bedarf einer grundlegenden Reform. Ein modernes Sexualstrafrecht muss daher folgende Grundsätze enthalten.

Unsere zentralen Forderungen:

Die Definition der Vergewaltigung soll auf der fehlenden Zustimmung einer Person basieren und sollte dementsprechend angepasst werden. Eine Vergewaltigung liegt vor, wenn das sexuelle Selbstbestimmungsrecht missachtet wird, nicht nur wenn eine Person genötigt wurde oder sich verbal zur Wehr setzt.

Ob es sich um eine Vergewaltigung handelt, sollte nicht davon abhängig sein, ob die Penetration mit einem Penis oder mit einem anderen Körperteil oder Gegenstand erfolgt ist. Der Tatbestand der Vergewaltigung ist daher auf jegliche anale, orale und vaginale Penetration auszuweiten.

Das heutige Sexualstrafrecht sagt explizit, dass es nur bei einer “Person weiblichen Geschlechts” zu einer Vergewaltigung kommen kann. Im Sinne der Gleichberechtigung ist diese Definition auf alle Personen auszuweiten. Denn nicht nur vaginale Penetration verletzt das sexuelle Selbstbestimmungsrecht.

Es braucht eine Erweiterung des Sexualstrafrechts bezüglich Anbahnung sexueller Kontakte mit Minderjährigen; sogenanntes Grooming. Dies schützt die sexuelle Entwicklung von Minderjährigen und ist eine Vorbedingung, um später sexuell selbstbestimmt leben zu können.

Hier kannst du unsere ganze Vernehmlassungsantwort lesen:

Zustimmungslösung ist für viele eine Selbstverständlichkeit

Dass das gesellschaftlich anerkannte Verständnis von Vergewaltigung und die momentane Gesetzeslage weit auseinanderklaffen, zeigen zwei Beispiele von letzter Woche. Wie eine Strassenumfrage von SRF zeigt, ist die Zustimmungslösung – wie der “Nur Ja heisst Ja”-Grundsatz auch genannt wird – für viele Menschen eine Selbstverständlichkeit.

Als die NZZ letzte Woche “Sex nur noch mit Zustimmung?” titelte (Online-Titel mittlerweile geändert), löste dies eine virale Welle der Empörung aus. Doch Fakt ist, dass das aktuelle Recht tatsächlich nicht festschreibt, dass es für Sex die Zustimmung aller Beteiligten braucht.

Das Parlament beziehungsweise die zuständigen Kommissionen stehen nun in der Verantwortung, diesen Grundsatz anzuerkennen und dementsprechend im Schweizer Sexualstrafrecht zu verankern. Der Einwand, dass der Paradigmenwechsel zu "Nur Ja heisst Ja" einer Aufhebung der Unschuldsvermutung gleichkommt, ist unhaltbar.

Genauso wie die Staatsanwaltschaft unter geltendem Recht beweisen muss, dass die beschuldigte Person Nötigungsmittel eingesetzt hat, um das Opfer zur Duldung von analer, oraler oder vaginaler Penetration oder anderen sexuellen Handlungen zu zwingen (Art. 189 bzw. 190 StGB), müsste der beschuldigten Person nachgewiesen werden können, dass sie nicht im Einvernehmen mit dem Opfer gehandelt hat. Es gilt weiterhin: Jede Person gilt bis zu ihrer rechtskräftigen Verurteilung als unschuldig. Operation Libero setzt sich beispielsweise in der Kampagne gegen das Errorgesetz (PMT) an vorderster Front gegen die Abschaffung der Unschuldsvermutung ein, welche es als essenzielle rechtsstaatliche Errungenschaft entschieden zu verteidigen gilt.

Das Sexualstrafrecht wird für sich allein genommen nicht in der Lage sein, sexualisierte Gewalt als gesamtgesellschaftliches Problem zu lösen. Deshalb ist die öffentliche Debatte darüber ebenfalls wichtig. Dazu haben wir mit der Vernehmlassungsantwort unseren ersten Beitrag geleistet. Und wir werden die nächsten Schritte der zuständigen Kommissionen genau beobachten. Denn nur ein angemessener Schutz der sexuellen Selbstbestimmung entspricht den Anforderungen eines modernen liberalen Rechtsstaates wie der Schweiz.