Offener Brief aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft
Für eine handlungsfähige und sichere Schweiz
Die Neutralität ist ein wichtiges Instrument der Schweizer Aussen- und Sicherheitspolitik. Sie dient der Sicherheit des Landes – und war stets wandelbar. Der vom Parlament diskutierte Gegenvorschlag zur Neutralitätsinitiative droht dieses bewährte Verständnis aufzugeben und die Neutralität als starres Dogma in der Verfassung zu verankern.
In einem offenen Brief warnen namhafte Expert*innen aus Völkerrecht, Sicherheitspolitik, Diplomatie und Zivilgesellschaft vor einem solchen Schritt. Sie zeigen auf, weshalb ein «immerwährendes» Neutralitätsversprechen die aussenpolitische Handlungsfähigkeit der Schweiz einschränkt und im Ernstfall ihre Sicherheit schwächt.
In einem offenen Brief fordern wir die Mitglieder der Bundesversammlung deshalb auf, die Neutralitätsinitiative ohne Gegenvorschlag abzulehnen.
Brief jetzt unterzeichnen und für eine handlungsfähige und sichere Schweiz einstehen
Der offene Brief
Sehr geehrte Mitglieder der Bundesversammlung
Wir begrüssen den Entscheid der Bundesversammlung, die Neutralitätsinitiative abzulehnen. Mit dem vom Ständerat vorgeschlagenen Gegenentwurf würde jedoch ein gefährliches Ewigkeitsversprechen in die Bundesverfassung aufgenommen, welches der Sicherheit der Schweiz schadet und unsere aussenpolitische Handlungsfähigkeit einschränkt.
Der Gegenvorschlag folgt dem Mythos, dass die Schweiz seit jeher in gleicher Weise neutral gewesen sei und diese Neutralität daher so in der Verfassung hinterlegt werden könne. Historisch gesehen hat sich die Auslegung der Neutralität immer wieder den aussen- und innenpolitischen Aktualitäten angepasst. Die Neutralitätspolitik sollte stets den Interessen – insbesondere den Sicherheitsinteressen – der Schweiz dienen. Neutralität ohne Zweck hat keinen Wert. An diesem Grundsatz orientiert sich bereits die Verfassung von 1848.
Mit dem Gegenvorschlag wird die Neutralität nun zu einem Dogma der Aussen- und Sicherheitspolitik. Damit würde in der Verfassung nicht einfach festgehalten, was bereits gilt: Vielmehr würde die Neutralität von einem Instrument der Aussenpolitik zu deren Ziel und Zweck erhoben.
Doch Neutralität allein garantiert weder die Sicherheit der Schweiz noch bildet sie für sich genommen die Grundlage einer erfolgreichen Aussenpolitik. Wird die Schweiz angegriffen, kann sie sich nicht alleine verteidigen. Bereits vor dem Fall der Fälle muss der Bund in der Lage sein, sich mit anderen Ländern in Sicherheitsfragen zu koordinieren. Der Gegenvorschlag erschwert dies, indem er eine Verfassungsänderung oder die Ausrufung von Notrecht notwendig macht. Die Neutralität darf daher auch nicht “immerwährend” sein.
Zudem besteht die Gefahr, dass sich künftig entgegengesetzte Neutralitätsauffassungen gleichermassen auf die Verfassung beziehen können. Denn der Gegenentwurf gibt keine Leitlinie zu deren Auslegung. Klarheit wird keine gewonnen – dafür geht Handlungsfähigkeit in der Aussen- und Sicherheitspolitik verloren. Die Neutralität verkäme gar zu einem Risiko für unsere Sicherheit.
Aus dargelegten Gründen empfehlen wir den Mitgliedern der Bundesversammlung die Ablehnung der Neutralitätsinitiative ohne Gegenvorschlag.
Freundliche Grüsse,
Im Namen der Erstunterzeichnenden
Erstunterzeichner*innen
Urs Saxer, Titularprofessor für Völkerrecht und ausländisches Verfassungsrecht an der Universität Zürich
Helen Keller, Professorin für Völkerrecht und ausländisches Verfassungsrecht an der Universität Zürich, eh. vollamtliche Richterin am EGMR
Marco Jorio, Historiker, Autor des Werkes “Die Schweiz und ihre Neutralität - Eine 400-Jährige Geschichte”
René Rhinow, eh. Ordinarius für öffentliches Recht an der Universität Basel, alt Ständerat FDP
Markus Mohler, eh. Staatsanwalt und Polizei-Kommandant Basel-Stadt, ehm. Projektleiter DEZA
Thomas Cottier, eh. Professor für europäisches und internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Bern
Daniel Woker, eh. Schweizer Botschafter, ehm. Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik
Philippe Welti, eh. Schweizer Botschafter
Sanija Ameti, Co-Präsidentin Operation Libero
Stefan Manser-Egli, Co-Präsident Operation Libero
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