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Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden

Folgende Stellungnahme hatten wir vorbereitet, um über die Durchführung einer Veranstaltung mit der AfD zu debattieren und uns der Kritik zu stellen. Da es nun nicht mehr dazu kommt, ist sie aktueller denn je.

Auf Einladung der Veranstalter wollte die Operation Liberoan einer Debatte in der Gessnerallee teilnehmen, wo auch die AfD vertreten sein würde. Nun hat sich die Gessnerallee entschieden, die Veranstaltung nicht durchzuführen. Das ist schade. Es ist eine verpasste Chance. Und es nützt vor allem denjenigen, welche wir alle eigentlich bekämpfen wollen. Heute Freitag hätte noch eine Diskussion über die Veranstaltung stattfinden sollen. Da uns das, was wir dort sagen wollten, wichtig erscheint, wollen wir unsere Überlegungen dazu dennoch noch veröffentlichen.

Vorausschicken wollen wir, dass nichts des Nachfolgenden dazu dienen soll, die Politik der AfD im Allgemeinen und die von Marc Jongen im Besonderen zu verharmlosen. Marc Jongen vertritt nicht bloss einen nationalistischen, sondern einen völkischen Kommunitarismus, in dem “Völker” “soziale Grosskörper” bilden, die eine eigene Gesundheit und eine eigene Psyche haben und die einen Eigenwert haben, der über die konsolidierten Interessen seiner Mitglieder hinausgeht. Internationale Kooperation ist in diesem Blick auf die Welt Selbstaufgabe, Zuwanderung Penetration. Fremde können in dieser Sicht auf die Welt unmöglich gleichwertige und gleichberechtigte, mit derselben Würde ausgestattete Individuen sein. Überhaupt hat die Würde des Einzelnen sich dem Wohl eines imaginierten Kollektivs unterzuordnen. Der bildungsbürgerliche Duktus des Herrn Jongen kann nur notdürftig den relativ profanen Widerwillen gegen Menschen fremder Herkunft kaschieren, der die Triebfeder seiner Politik und der seiner Partei ist.

Wir von der Operation Libero können uns keine momentane politische Kraft vorstellen, welche von unseren Positionen weiter entfernt wäre als die AfD und ihre anverwandten national-identitären Parteien in Europa. Politische Kräfte wie die AfD wirksamer bekämpfen zu können ist einer der zentralen Gründe, warum die Operation Libero sich gegründet hat und alles Nachfolgende dient diesem Ziel.

Zum Wert der freien Rede – für praktisch alle

Uns ist bewusst, dass es stets um die Frage ging, ob eine Veranstaltung in diesem Theater stattfinden soll und darf und nicht grundsätzlich darum, ob man mit der AfD reden soll oder nicht. Ein Theater hat nicht dieselben Verpflichtungen gegenüber der freien Rede, wie der Staat. Hingegen kann das für sein Publikum gelten: Wenn ein (kleiner) Teil davon bereit ist, eine als störend empfundene Veranstaltung zu verhindern, wenn diese Gruppe also bereit ist, der eigenen Ansicht nötigenfalls mit Zwang Nachachtung zu verschaffen, der muss sich gegenüber der freien Rede auch an denselben Masstäben messen lassen, wie der Staat. Diese Aussage ist nicht an alle Kritiker gerichtet, sondern nur an diejenigen, welche die Verhinderung des Anlasses als legitim erachteten.

Unter den Gründen, warum auch Herr Jongen unter dem Schutz der Redefreiheit steht, sind die wichtigsten

  • Dass abwegige Positionen den besonderen Schutz der Meinungsäusserungsfreiheit verdienen. Die Grenze der freien Rede findet sich in der Notwendigkeit, unmittelbare Gefahr für Dritte abzuwenden.

  • Dass mit einem Redeverbot immer auch die Rechte derjenigen verletzt werden, die vom Zuhören hätten lernen können,

  • Dass Redeverbote einen Zensor voraussetzen, der an meiner Stelle entscheiden muss, was ich zu hören ertragen kann und was nicht.

"Feuer!" in einem voll besetzten Theater

Die Redefreiheit ist nicht ein Privileg, das nur jenen zugute kommt, die einem gesellschaftlichen Grundkonsens angehören und auf diesem aufbauen, sondern grundsätzlich allen. Die Grenze der freien Meinungsäusserung findet sich dort, wo die Äusserung einer Meinung dieselben Folgen hat, wie in einem vollen Theater ohne Grund “Feuer!” zu rufen. Wenn die Äusserung der Meinung unmittelbar und unabwendbar Schaden für andere zur Folge hat.

Aber selbst dieses Kriterium ist noch mit grosser Zurückhaltung anzuwenden, weil die Erfahrung zeigt, wie oft Menschen unter Hinweis auf die Gefährlichkeit ihrer Ansichten zum Schweigen gebracht worden sind, die etwas Wichtiges zu sagen gehabt hätten. So lange es nicht der offene Aufruf zu Gewalt oder zu Straftaten ist, verdient daher auch die abwegige und abstossende Ansicht den Schutz der Redefreiheit.

An fast allen Orten der Erde und zu fast jeder Zeit in der Geschichte waren es Andersgläubige , Feministen und Feministinnen, Demokraten und Demokratinnen, Verfechter und Verfechterinnen offener Grenzen, Ausländerinnen und Ausländer und viele mehr gewesen, deren Ansichten als inakzeptabel, als zersetzend und als schlicht gefährlich zum Schweigen gebracht wurden.

Die Verteidigung der Freiheitsrechte ist keine Voraussetzung dafür, diese Rechte in Anspruch nehmen zu können. Sie kommen auch jenen zugute, die sie offen bekämpfen. Entsprechend ist es auch kein Widerspruch, dass ein Theater einen Mann eine Bühne bietet, der dieses Theater wahrscheinliche gerne abgeschafft sähe.

Klüger kann man immer werden

Der zweite Punkt ist strategisch: Wir erachten es als ausgesprochen nützlich, Ansichten ausgesetzt zu sein, die einem abstossend und gefährlich erscheinen. Es zwingt einem dazu, sich Rechenschaft über die eigenen Ansichten abzulegen, sich zu fragen, woher sie kommen und warum sie richtig sind.

Viele Dinge werden als gegeben vorausgesetzt, ohne dass diejenigen, die sie für selbstverständlich halten, genau erklären könnten, weshalb. Dies wird in dem Moment gefährlich, wo uns eine gefährliche Meinung nicht mehr auf der Theaterbühne begegnet, sondern im Parlament oder im Gericht oder in der Verwaltung. Die Theaterbühne kann daher eine wichtige Funktion darin übernehmen, über unsere eigene Haltung Rechenschaft abzulegen, jene des politischen Gegners analysieren zu können und Gegenstrategien zu entwickeln. Natürlich kann man auch einfach nachlesen, was Herr Jongen so denkt. Aber es spricht unsere Meinung nach nichts dagegen, diesen Inhalten auch aktiv und direkt etwas entgegenzusetzen. In Vorbereitung auf die Konfrontation müssen wir uns erstens umso intensiver mit seinen Ansichten auseinandersetzen und zweitens geht es uns darum, unsere Strategien im Umgang mit den Völkisch-Identitären zu testen. Das setzt voraus, dass wir sie direkt mit unseren Entgegnungen konfrontieren können.

Wird Herr Jongen zum Schweigen gebracht, bedeutet dies, dass wir die Konfrontation mit seinen Ansichten nicht aushalten zu können – oder (wahrscheinlicher), dass wir davon ausgehen, dass andere im Raum sind, die es nicht aushalten können und dass wir zu wenig auf die Kraft unserer eigenen Argumente vertrauen. An diese Kraft des besseren Argumentes zu glauben, wurde uns als blauäugig ausgelegt. Lasst uns dies selbst herausfinden und vor allem: Überlasst es dem Publikum, statt dieses durch Beschützertum zu bevormunden. Die Gessnerallee wurde kritisiert, dass keine “Linke” Position vertreten sein. Die Kritik ist nicht die unsere, aber sie ist vertretbar und sie hätte an den Vorgesprächen, welche hätten stattfinden sollen, eingebracht und vielleicht auch durchgesetzt werden können. Und es wurde kritisiert, dass wir hier der AfD eine Plattform geboten hätten. Die Plattform hat Jongen nun erhalten – durch die Kritik, die vorhersehbare mediale Rezeption und die Absage.

Über all diese Ausführungen, über das Setting des Theaters, über Sinn oder Unsinn der Durchführung, über unsere Ansichten, unsere Strategie – über all das kann man streiten, debattieren, diskutieren, eine Gegenveranstaltung machen, friedlich dagegen demonstrieren.

Doch einem Theater schlussendlich eigentlich keine Möglichkeit mehr zu lassen als den Rückzug, geht zu weit.