2010 war Ungarn auf dem Weg zu einer modernen, liberalen Demokratie: Die Menschen sollten dank freier Meinungsäusserung, Grundrechten für alle und offenen Grenzen genauso frei werden wie in den anderen Ländern des geeinten Europas. Dann kam Viktor Orbán an die Macht und es lief etwas gänzlich schief.
Mit dieser Geschichte ist Ungarn nicht allein. Gewöhnlich beginnen diese Geschichten mit ein paar Rechtspopulisten, die sich eine Zeitung kaufen und es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Die Menschen diskriminieren, den Klimawandel leugnen, gegen Minderheiten hetzen und Europa als grösste Feindin darstellen.
Und so versammeln sich auch in Zürich am 22. November ein paar Rechtspopulisten, um der Geschichte eines Autokraten zuzuhören. Um Viktor Orbáns Geschichte Applaus zu spenden.
Sie treffen sich nicht irgendwo in einer einsamen Hütte im Wald, sondern im renommiertesten Hotel der Stadt. Eingeladen von einem Schweizer Heftli, willige Handlanger Putins, hofiert von der grössten Partei des Landes. Sie haben gerade die Wahlen gewonnen. Sie sind Teil der Regierung. Es sind Parlamentarier und Chefredaktoren, die für alle sichtbar über Zürich thronend zusammenkommen. Weil sie glauben, es nicht mehr verstecken zu müssen: ihre Liebe zu Autokraten. Sie kommen hier zusammen, um Orbáns Geschichte auch in der Schweiz weiterzuschreiben.
Doch wir wollen unsere eigene Geschichte schreiben. Es ist die Geschichte der liberalen Demokrat*innen. Es ist die Geschichte der freien Gesellschaft.
Diese, unsere Geschichte lebt von der Achtung der Menschenwürde und des Verbots der Diskriminierung, so wie wir sie als Grundlage der Demokratien in Europa nach 1945 definiert haben. Diese Geschichte lebt vom Recht statt der Macht, von der Arbeit an einer offenen Gesellschaft, sodass sich jeder Mensch frei entfalten kann. Von der Freiheit, zu leben, wo man will und zu lieben, wen man will. Diese Geschichte erzählt vom europäischen Friedens- und Freiheitsprojekt.
So erzählen wir auch die Geschichte des in Frieden geeinten Europas, die 1946 mit Churchills Zürcher Rede ihren Lauf nahm. Unsere liberale Demokratie ist eine fragile Errungenschaft, das kann man an Orbán studieren. Dass er hier so mitten unter uns hofiert wird, zeigt, dass dieses fragile Projekt unseren vollen Einsatz braucht. Churchill wusste das. Und er verstand die Wichtigkeit des europäischen Projekts für die langfristige Sicherung von Demokratie und Freiheit.
Wir applaudieren nicht denjenigen, welche die freie Meinungsäusserung in ihren Ländern mit Füssen treten. Wir lachen nicht mit denjenigen, welche queere Menschen in ihren Ländern rechtlich diskriminieren und schikanieren. Wir mögen keine Autokraten. Seien wir wachsam und entwickeln gemeinsam eine neue liberale Kraft. Denn wir sind mehr als unsere Mythen. Wir sind das Land der Chancen. Und wir erzählen die Geschichte der Schweiz als nicht nur etwas grossartig Gewordenes, sondern als etwas noch grossartiger Werdendes. Und diese Geschichte ist noch nicht zu Ende geschrieben.