Schengen-Kampagne

Liebe SP: Hört auf, mit unserer Schengen-Mitgliedschaft zu pokern

Auch ihr wisst: Die Schweiz muss die Schengen-Weiterentwicklung zähneknirschend übernehmen

Liebe SP, was Schengen und Frontex angeht, sind wir uns in vielem einig. Nur bei einem Verbleib in Schengen können wir auf eine Verbesserung der Menschensrechtssituation hinwirken. Auch ihr wisst: Die Schweiz muss die Schengen-Weiterentwicklung übernehmen, sonst sind wir draussen. Bitte hört auf mit dem hochriskanten Poker mit unserer Schengen-Mitgliedschaft. Wir wollen keine tickende Zeitbombe mit einer 90-Tage-Zündschnur.

Seit wir am Dienstag unsere JA-zu-Schengen-Kampagne lanciert haben, werden wir wahlweise als “Befürworter*innen von Menschenrechtsverletzungen” oder “Frontex-Hardliner*innen” verunglimpft. Fabian Molina wirft uns “Europa-Politik à la Orban” vor.

Das trifft uns. Denn auch für uns Liberas und Liberos ist klar: Frontex steht für eine menschenverachtende Migrationspolitik, die dringend reformiert werden muss. Auch wir finden, dass die derzeitige Politik, deren Ziel es ist, die Zahl der ankommenden Geflüchteten in Europa so weit wie möglich zu begrenzen, endlich ein Ende haben muss. Dafür soll sich die Schweiz als Teil Europas einsetzen.

Trotzdem müssen wir in dieser Abstimmung eine ungemütliche Position einnehmen: Ein kritisches Ja zu Schengen. In der Schengen-Zwickmühle stecken wir gemeinsam mit euch und anderen Referendumsbefürworter*innen – die uns heftigst kritisieren. Ihr befürwortet die Übernahme der Schengen-Weiterentwicklung zu Frontex auch, wollt aber vorher noch ein Hochrisikospiel mit der Schweizer Mitgliedschaft in Schengen spielen. 

Die Alternative zu Schengen sind staatliche Grenzbehörden

«Eine Abschaffung von Frontex würde nicht allzu viel bringen, weil auch ihr Ersatz – staatliche Grenzbehörden – keinen Deut besser sind», schrieb SP-Co-Präsidentin Mattea Meyer auf Twitter. 

Wir sagen in unserem Argumentarium genau dasselbe in anderen Worten:

Europa ist ein uneingelöstes Versprechen – aber das beste Versprechen, das wir haben. Wie sähe Europa ohne Schengen und Dublin aus? Es wäre wahrscheinlich ein Europa, in dem jeder Staat alles daran setzen würde, Migrant*innen und Asylsuchende an seine Nachbarstaaten abzuschieben. Ein Europa des Jeder-für-sich-Selbst und des nationalen Egoismus auf Kosten der Grundrechte der schutzbedürftigsten Menschen. Dies ist ein Europa, das wir nicht wollen.

Die Realität ist: Wir müssen die Schengen-Weiterentwicklung annehmen

Eure Nationalrät*innen – wie Mattea Meyer und Fabian Molina – machen keinen Hehl daraus, dass die Schweiz die Schengen-Weiterentwicklung so oder so übernehmen muss und wird. Das mag vielen Referendums-Befürworter*innen, die bei einem höheren Beitrag an Frontex auf die Barrikade gehen und dafür die Schengen-Mitgliedschaft der Schweiz opfern würden, sauer aufstossen. 
 

Doch ihr habt Recht. Es führt kein Weg daran vorbei, der Aufstockung des Beitrags an Frontex zähneknirschend zuzustimmen, wenn die Schweiz ein Schengen-Mitglied bleiben will. Und das muss sie, denn die Menschenrechtssituation würde sich sonst nicht verbessern, im Gegenteil (dazu gleich mehr).

Die Regeln stehen schwarz auf weiss im Schengen-Assoziierungsabkommen: Die Schweiz ist verpflichtet, Schengen-Recht zu übernehmen, sonst schlittert sie in 90 Tagen automatisch aus Schengen raus (dazu gleich mehr). Diesen Ausschluss-Automatismus habt ihr, liebe SP, in der Vergangenheit immer wieder selber ins Feld geführt.

So beispielsweise, als wir uns im Jahr 2019 im Zusammenhang mit der Waffenrichtlinie gemeinsam für ein JA zu Schengen einsetzten.

Bei Schengen steht viel auf dem Spiel

Die Schweizer Schengen-Mitgliedschaft ist so gut wie alternativlos. Denn Schengen ist nicht nur die bessere Alternative zu rein national kontrollierten Grenzen, sondern gewährt auch die Bewegungs- und Reisefreiheit in Europa.

Die Menschenrechtssituation an der Schweizer Grenze würde sich bei einem Schengen-Rausfall mit grosser Wahrscheinlichkeit markant verschlechtern. Denn die Schweiz würde so zur Schengen-Aussengrenze. Die Schweiz würde zur einzigen zweiten Chance für Asylbewerber*innen, und dagegen fast sicher mit eigenen drastischen Massnahmen vorgehen – verantwortlich dafür wäre der Bundesrat. Es schmerzt, das zu hören, aber auch die Schweiz würde ohne Schengen und Dublin viel mehr in repressive Migrationspolitik investieren als jetzt schon. 

Und wir Schweizer*innen würden uns unserer Mitverantwortung in und für Europa – dazu gehört auch die Verbesserung der europäischen Migrationspolitik – entziehen. Im Windschatten der Festung Europa würden wir trotzdem weiterhin mitfahren. Die Lösung ist daher dieselbe, wie in der übrigen Europapolitik auch: Die Schweiz muss ein aktiver und gestaltender Teil Europas sein.

Das Hochrisikospiel der SP: Ein Nein als Pfand

Obwohl wir also bei fast der gesamten Ausgangslage dieser Abstimmung gleicher Meinung sind, sehen wir uns mit Fundamentalkritik an unserer Position konfrontiert. Wieso?

Die Politstrateg*innen der SP wollen ein Nein zu Schengen am 15. Mai als innenpolitisches Pfand einsetzen: Das Parlament soll die Kontingente für Resettlement-Flüchtlinge erhöhen. Dann wird die SP der Erhöhung des Beitrags an Frontex doch noch zustimmen. 

Diese Strategie ist in vierlei Hinsicht fragwürdig und riskant.

Um am 15. Mai eine Mehrheit gegen die Schengen-Verordnung zu erreichen, sind die Referendumsführer*innen fast zwangsweise auf viele Stimmen der SVP-Basis angewiesen. Diese würden das Referendum unterstützen, weil sie ganz grundsätzlich gegen die Schweizer Beteiligung an Schengen oder für einen eigenen (stärker ausgebauten) Grenzschutz wären, und für die Abschottung der Schweiz und Europas. Ein gemeinsames Nein dieser unheiligen Allianz wäre dann leider nicht das klare Zeichen gegen Menschenrechtsverletzungen von Frontex, das sich so viele erhoffen.

Wenn der anvisierte Deal – eine parlamentarische Initiative von Daniel Jositsch – platzt, weil Bundesrat und Parlament sich nicht oder nicht schnell genug auf einen neuen Kompromiss einigen können, dann fliegt die Schweiz automatisch aus Schengen-Dublin raus. 

Nun behauptet die SP, die Schweiz könne sich die notwendige Zeit für einen Deal nehmen. Das stimmt nicht. Fabian Molina liegt falsch, wenn er behauptet, dass es keinen Automatismus nach dem Schweizer Nein gebe. Er verschweigt unter anderem Artikel 7, Ziff. 4c) Vertrages, mit dem die Schweiz an Schengen assoziiert ist. Eine Notifizierung an Brüssel durch den Bundesrat ist nach dem negativen Referendumsentscheid nur noch eine Formalität, weil die zweijährige Frist der Schweiz bereits abgelaufen ist und die “verfassungsrechtlichen Voraussetzungen” erfüllt sein werden.

Zusätzlich verbreitet er die Falschaussage, dass ein Schengen-Austritt einen zusätzlichen Beschluss des Parlaments bräuchte. Er zitiert zwar eine Professorin für Völkerrecht und öffentliches Recht, doch im Zitat geht es um die “Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages”. Doch der Bundesrat würde den Schengen-Vertrag nicht kündigen, sondern dieser würde gemäss Abkommen automatisch enden. Das Parlament hat also definitiv kein Mitspracherecht mehr. 

Molina führt auch ins Feld, dass die Schweiz bisher sieben Mal eine Schengen-Weiterentwicklung zu spät – also nach der Frist von zwei Jahren – übernommen hat. Das stimmt, aber es gab nie einen direktdemokratischen Entscheid gegen diese Übernahme. Ein Volks-Nein wäre eine komplett andere Ausgangslage.

Der Mechanismus nach einem Nein funktioniert wie eine tickende Zeitbombe: Der Zünder kann nur durch einen einstimmigen Entscheid aller Schengen-Staaten innerhalb von 90 Tagen gestoppt werden, sonst tritt das Abkommen automatisch ausser Kraft. Auf diese Einstimmigkeit zu wetten, ist in der ohnehin schon festgefahrenen europapolitischen Situation, in die uns der Bundesrat und die Bundesratsparteien hineinmanövriert haben, ein verantwortungsloses Unterfangen.

Was die Konsequenzen eines solchen Rausschlittern aus Schengen wären, haben wir ja bereit erwähnt.

Ein weiteres Problem am Deal, den die SP als so einfach verkauft: Eine Parlamentarische Initiative muss an sich ein Vernehmlassungsverfahren durchlaufen. Die Annahme einer solchen parlamentarischen Initiative über ein beschleunigtes Verfahren erscheint aus staatspolitischen Überlegungen und angesichts der repressiven Haltung der Kantonsregierungen in Migrationsthemen wenig nachvollziehbar. Und sehr wichtig: Wenn ein solches Päckli zustande kommt, könnte die SVP – oder stellvertretend für sie eine andere Gruppierung – das Referendum ergreifen. Spätestens dann würden wir aus Zeitgründen bereits aus Schengen rausgeschlittert sein.

Es braucht das kritische JA zu Schengen

Wir teilen die Kritik an Frontex und sind uns in vielen Zielen der Migrations- und Asylpolitik einig. Wir müssten uns eigentlich gemeinsam gegen diejenigen einsetzen, die im Rahmen dieser Debatte jegliche Verbesserung der Situation ablehnen wollen.

Für uns ist klar: Es braucht Stimmen, die sich für ein kritisches, ein zähneknirschendes JA zu Schengen am 15. Mai einsetzen, und dabei unmissverständlich klar machen: Das ist kein Ja zu Frontex. Sondern ein kritisches JA zu Schengen, ein forderndes JA zu Europa, und vor allem ein überzeugtes JA zum Freiheits-, Friedens- und Menschenrechtsprojekt Europa – das beste uneingelöste Versprechen, das wir haben.

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