Ein Symbolbild für Fake News mit einem Stilbild von Büchern zum Thema

Desinformation

Ein beliebtes Mittel der SVP

Hattest du Anfang Mai auch die "Energie News" von den Gegner*innen des Klimaschutzgesetzes im Briefkasten? Die “Zeitung” will den Eindruck erwecken, dass sie Stimmbürger*innen mit relevanten und seriösen Informationen für die Abstimmung vom 18. Juni 2023 versorgt. Die Autor*innen greifen aber auf eine Menge Werkzeuge der Desinformation zurück, um die Ablehnung des Gesetzes zu erreichen. Hier unser Faktencheck, der gängige Desinformationswerkzeuge an Beispielen aus der SVP-Publikation aufzeigt und Tipps zum Erkennen von Desinformation gibt.

Wenn die Fakten nicht zur eigenen Meinung oder Agenda passen, dann setzen populistische und demagogische Akteur*innen sehr gerne auf Desinformationskampagnen. Diese haben zum Ziel, “alternative Fakten” zu propagieren, um ihre Meinung durchzudrücken. Sehr häufig wird im Zusammenhang mit dem Klimawandel auf Desinformationstechniken gesetzt. Dieses Poster beschreibt den Werkzeugkasten der Desinformation anschaulich: 

desinformation poster fakten

Die SVP hat im Mai 2023 im Rahmen der Abstimmung zum Klimaschutzgesetz eine grosse Desinformationskampagne in Form der "Energie News" gestartet. In diesem Blog illustrieren wir anhand von Beispielen aus dieser “Zeitung”, wie die Werkzeuge zur Manipulation der Stimmbürger*innen funktionieren.

Wenden wir uns zuerst dem grundlegendsten Werkzeug der Desinformation zu, dem Logik-Fehler. In der “Energie News” stellt die SVP fest, dass heute 60 % des Energiebedarfs in der Schweiz durch fossile Brenn- und Treibstoffe gedeckt werden. Christian Imark folgert in seinem Artikel daraus, dass 60 % des heutigen Energiebedarfs bei einer Elektrifizierung durch Strom ersetzt werden müssen.

Dieser Schluss ist falsch, da Ersatz-Technologien wie Wärmepumpen und E-Autos massiv effizienter mit Energie umgehen. Es muss nur ein Bruchteil der fossilen Energie ersetzt werden, der Rest wird ohne Einbussen eingespart (grob geschätzt wird nur noch weniger als ein Drittel dieser 60 % benötigt). Die Effizienzgewinne rechnet die SVP nicht ein, weil sie nicht zur eigenen Agenda passen.

Durch den Einbezug von Umweltwärme (aus Luft, Wasser oder Boden) wird bei Wärmepumpen der Hauptteil der Wärmeenergie nicht direkt aus Strom gewonnen. Bei den Wasser- oder Erdsonden-Wärmepumpen werden sogar bis zu 80 % der Energie aus dem Wasser oder der Erde gewonnen. Hier müssen also nur 20-30 % der Energie durch Strom ersetzt werden. 70-80 % des bisher durch Öl oder Gas eingesetzten Energiebedarfs entfallen komplett.

E-Autos sind extrem effizient. Ihr Motor hat einen sehr hohen Wirkungsgrad von 90 % oder mehr des geladenen Stroms.

Autos mit Verbrennungsmotoren hingegen haben einen Wirkungsgrad von 25-35 %. Der Rest des  Energiegehalts von Benzin oder Diesel wird als Abwärme in die Natur abgegeben und nicht für den Vortrieb des Autos genutzt. Das kann jede*r daran erkennen, dass der Motorblock und der Auspuff im Betrieb heiss werden.

Gemäss TCS und EnergieSchweiz brauchen neue Benziner 6.39 L Benzin / 100 km und neue Dieselfahrzeuge 5.67 L / 100km. Diesen Verbrauch kann man bei Benzin mit 9 kWh/L und bei Diesel 10 kWh/L in kWh pro 100 km umrechnen. 

So ergeben sich 57 kWh pro 100 km für Benziner der neuesten Generation sowie 56.7 kWh pro 100 km für ein entsprechendes Dieselfahrzeug. E-Autos brauchen dazu im Gegensatz zwischen 10 und 20 kWh pro 100 km. D.h. ein E-Auto spart etwa zwei Drittel der Energie ein.

Prof. Volker Quaschning hat gezeigt, dass für Deutschland bei einer konsequenten Elektrifizierung der Energieverbrauch von heute 3’200 Terawattstunden auf 1’300 Terawattstunden mehr als halbiert werden kann, indem man Öl und Gas durch Strom ersetzt.
 

Die SVP hat diesen Logik-Fehler in einer voreiligen Schlussfolgerung wie folgt formuliert: “Die Schweiz muss 60 % der heutigen Energieversorgung durch Strom ersetzen. Durch die Abkehr von Öl und Gas wird derart viel zusätzliche Elektrizität benötigt, dass niemand weiss, woher dieser Strom kommen soll.” 

Wir werden mehr Strom brauchen als heute, aber nur einen Bruchteil davon, was aktuell an Energie aus Öl und Gas verbraucht wird. Den Rest können wir ohne Komforteinbussen durch die Elektrifizierung einsparen. Sehr anschaulich wird das auch im Blog “How To Energiewende illustriert. 

Aber zurück zur Desinformation, die hier geschieht: Durch die Inszenierung einer halbgaren Schlussfolgerung als logische Folge schafft die SVP aus der Energiewende ein Bedrohungsszenario.

Das nächste beliebte Werkzeug ist das aussenpolitische Mantra der Reduit-Romantiker*innen: die Rosinenpickerei. Die SVP zitiert auch in ihrer “Energie News” aus einer – nicht als Quelle angegebenen – Studie von Prof. Züttel, um hohe Kosten einer klimaneutralen Schweiz zu suggerieren. In dieser Studie wird gesagt, dass die Energiekosten von heute 3’000 Franken auf 9’600 Franken pro Person steigen würden, wenn Klimaneutralität mithilfe von synthetischen Treibstoffen erreicht werden soll. Synthetische Treibstoffe sind aber nur eine der ausgewerteten Optionen. Die SVP suggeriert aber, dass die Abkehr von fossilen Technologien insgesamt zu einer massiven Kostenerhöhung führen würde. (In derselben Studie sagt Prof. Züttel übrigens auch, dass eine vollständige Elektrifizierung (mit Ausnahme der Flugreisen) zu vergleichbaren Kosten führen würde wie heute). 

Dies wird dann im Blatt der SVP so dargestellt:

“Die ETH hat berechnet, dass sich die Energiekosten verdreifachen werden: auf 9’600 Franken pro Person und Jahr.”

Hier wurde also bewusst verschwiegen, welches Szenario diesen 9’600 Franken zu Grunde liegt – und dass es weitere (und sehr viel wahrscheinlichere) Szenarien gibt. Die Situation wird bewusst falsch/verzerrt dargestellt, um die eigene Behauptung, die Energiewende werde teuer, zu stützen.

rosinen picken

Die Studie von Prof. Züttel krankt leider an einem gravierenden Problem: der übermässigen Vereinfachung. Er schreibt in der Studie Folgendes: “for simplicity, we assume that in addition to hydroelectricity, future renewable energy will be generated by PVs (Tröndle et al., 2019) (Table 2) with an efficiency of 20% and 200 WP m−2.” Er nimmt also an, dass künftige erneuerbare Energie durch Wasserkraft und Photovoltaik mit 20 % Wirkungsgrad erzeugt werden wird. Aufgrund dieser Vereinfachung rechnet er einen extrem hohen Speicherbedarf für saisonale Speicherung aus. Photovoltaik (PV) produziert hauptsächlich im Sommer, wohingegen Windkraftwerke hauptsächlich im Winter produzieren. Sinnvollerweise wird also eine Variante mit viel Windenergie (bis zu 75 %) umgesetzt, die den Bedarf für Speicherung im Sommer für den Winter massiv reduziert. Dies hat die ETH Lausanne in einer Studie 2021 aufgezeigt. In so einem Fall würde die Rechnung massiv anders aussehen und der Speicherbedarf viel kleiner ausfallen. Auch den Ertrag der PV-Module hat er mit 200 WP m−2  konservativ angesetzt. Die besten heute verfügbaren Module leisten bereits mehr (bis zu 230 WP m−2), und die Entwicklung ist ja noch nicht abgeschlossen.

Die ETH Zürich hat zusammen mit der TU Delft auch viele verschiedene mögliche Wege der Versorgung von ganz Europa mit 100% erneuerbarer Energie untersucht. Auf dem folgenden Bild ist eines dieser Szenarien dargestellt. In den drei Bildern von Europa werden von links nach rechts der Energiemix, die Netto-Importe respektive -Exporte, sowie der Ausbau der Stromnetze gezeigt. Je nach getroffenen Annahmen links (z.B. wie viel Stromhandel erlauben, wie viel Biotreibstoffe verwenden, auf wie viel Speicherkapazität bauen) kommen andere Szenarien in Frage. Mit ihrem Tool können über 400 Varianten betrachtet werden.

Ein Modell mit drei Ansichten der Karte Europas.

Prof. Züttel hat in seiner Studie die Kosten einer 100%ig klimaneutralen Schweiz geschätzt, wenn die zusätzlich benötigte Stromproduktion nur mittels Photovoltaik (kombiniert mit Speichern) realisiert wird. Über die Kosten einer  vollständigen Elektrifizierung (mit Ausnahme der Fliegerei) sagt er Folgendes:

“The total cost is 2,485 CHF/capita per year for electricity and 1,184 CHF/capita per year for kerosene, the overall energy cost of 3,669 CHF/capita per year is comparable with the energy cost in the current system. The resulting electricity cost is 0.11 CHF/kWh and the kerosene cost is 4.5 CHF/L.”

Zu Deutsch heisst das so viel wie: Die Gesamtkosten belaufen sich auf 2’485 Fr./Kopf pro Jahr für Strom und 1’184 Fr./Kopf pro Jahr für Kerosin. Die Gesamtenergiekosten von 3’669 Fr./Kopf pro Jahr sind vergleichbar mit den Energiekosten im derzeitigen System. Die Stromkosten liegen bei 0,11 Fr./kWh und die Kerosinkosten bei 4,5 Fr./L.

Das bedeutet, dass durch Auslassen und Unterschlagen von Szenarien – oder andersherum: durch Rosinenpickerei bei den Fakten – können auch seriöse Studien zur Desinformation genutzt werden. 

Das nächste beliebte Werkzeug, die Faultier-Induktion, ist ein Spezialfall der Rosinenpickerei. Sobald eine Studie oder Artikel die gewünschte Aussage stützt, wird argumentiert, dass die Wissenschaft zum gewünschten Schluss gekommen ist. Sowohl der aktuelle Stand der Forschung, weitere Studien, sowie ein eventueller wissenschaftlicher Konsens werden dabei komplett ausgeblendet. Dieses Desinformationswerkzeug wird von der SVP wie folgt angewendet: Eine Studie von Prof. Züttel vergleicht vor allem drei Wege zur Klimaneutralität. 100 % Elektrifizierung, wasserstoffbasierte Technologien, Einsatz von fossilen Technologien mit klimaneutralen Treibstoffen. Für die Erreichung von 100 % Elektrifizierung gibt es viele Umsetzungsmöglichkeiten, die in anderen Studien betrachtet wurden. Vor allem bei der Stromproduktion betrachtet Prof. Züttel ein relativ unpraktisches Szenario, in dem er den Ausbau von Windenergie, mit den hohen Winterstorm-Potenzialen, sowie den Import aus der EU kategorisch ausgeschlossen hat. Zusätzlich sollen laut der Studie von Prof. Züttel E-Fuels für den Flugbetrieb komplett im Inland produziert statt importiert zu werden. Mehr zur Studie von Prof. Züttel findet sich oben im Abschnitt Rosinenpickerei in einem Exkurs.

In der “Energie News”-Zeitung werden also für die SVP unbequeme Informationen einfach unterschlagen. Sie ziehen einen Aspekt aus einer Studie raus und folgern daraus, dass es teuer wird und nicht machbar ist, anstatt weitere relevante Studien zu sichten.

Die ETH/EMPA hat sich mittlerweile auch dazu geäussert, dass die SVP desinformiert und Dinge in die Studie hineininterpretiert, die so nicht drinstehen. Und damit sich das vom Bund finanzierte und eigentlich apolitische Forschungsinstitut EMPA in einem Abstimmungskampf äussert, muss man schon grob fahrlässigen Quatsch verbreiten.

 

Faultier Blog Klima

Kommen wir zu einer der einfachsten Desinformations-Taktiken: Wenn ein politischer Vorstoss nicht 100 % der Erwartungen erfüllt, dann wird so getan, als würde der Vorstoss gar nichts bringen. Die Erwartungen kann man dabei beliebig hoch resp. utopisch setzen, sodass es nie zu einer vollen Erfüllung der Erwartungen kommen kann. Diese Taktik findet man im SVP-Blatt unter "Autarkie-Fantasie".

Die SVP beanstandet in der "Energie News", dass die Schweiz nicht 100 % des Energieverbrauchs im Inland erneuerbar produzieren könne. Dabei werden heute fossile Brenn- und Treibstoffe in rauen Mengen in die Schweiz importiert (was vorwiegend autoritäre Regime unterstützt). Auch besteht aktuell reger Stromhandel. Die Erwartung, dass die Schweiz ihren ganzen Energiebedarf selbst abdecken können sollte, ist also viel zu hoch angesetzt. Als Beleg, dass diese Autarkie-Erwartungen nicht erfüllbar sind, wird Prof. Züttel wird wie folgt zitiert: “Wir müssen uns von der Vorstellung verabschieden, dass wir unseren gesamten Energiebedarf mit im Inland erzeugter erneuerbaren Energie decken können.“ Dabei können wir das auch mit fossilen Energien nicht. Und es ist weder sinnvoll noch erforderlich, dass für eine klimaneutrale Schweiz 100 % des Energieverbrauchs im Inland produziert werden.

E-Fuels für die Fliegerei könnten z.B. weiterhin importiert werden aus Ländern, die einen beachtlichen Anteil an Überschussstrom aus erneuerbaren Quellen bereitstellen können (wie zum Beispiel Grossbritannien, Irland und Spanien mit ihrem hohen Potential für Windenergie an Land und Offshore). Es wird aber immerhin möglich sein, einen viel höheren Selbstversorgungsgrad als heute zu erreichen. Heute haben wir aufgrund der fossilen Energieträger mit 30 % der Energie einen sehr kleinen Selbstversorgungsgrad. Auch ohne gänzliche Autarkie-Erwartung ist die Erhöhung des Selbstversorgungsgrads begrüssenswert. 

Übrigens kommt auch bei der Autarkie-Fantasie wieder ein Logik-Fehler zum Tragen. Es wird übermässig vereinfacht und ein falscher Gegensatz aus nur zwei Optionen geschaffen: Eine Energiewende unter erschwerten Bedingungen, die als utopisch und unsicher dargestellt wird, gegen den Status quo, der seine Probleme haben möge, aber bei dem im Grunde ja alles laufe. Dabei gibt es ja, wie erläutert, sehr viele unterschiedliche Optionen. Durch diese Darstellung werden Ängste vor der Zukunft und vor Veränderung (dargestellt als Wohlstandsverlust) geschürt. Durch den Einsatz von übertriebenen Erwartungen soll sich die Energiewende unerreichbar und unrealistisch anfühlen.

Die Schweiz hat noch grosses Potential bei der Produktion von erneuerbarem Strom. Anton Gunzinger zeigt in seinem Buch “Kraftwerk Schweiz, wie eine 100 % erneuerbare Energieversorgung möglich ist, wenn eine moderate Anzahl von Windturbinen zugebaut wird. 

Windenergie würde, aufgrund der hohen Stromproduktion während den windigeren, kalten Monaten, die Stromengpässe im Winter massiv reduzieren. Die ETH Lausanne sieht in einem kostenmässig optimalen Szenario vor, dass die Windenergie mehr als die Hälfte der notwendigen zusätzlichen Kapazität liefert. In der Schweiz wird aktuell erst 0.04 % der Elektrizität aus Windenergie produziert (gemäss dieser Karte). Damit bildet die Schweiz das Schlusslicht in Europa. Es besteht ein riesiges Ausbaupotential im Jura, im Mittelland sowie in den Voralpen und Alpen. Ein Vergleich mit zum Beispiel Österreich zeigt, dass ein Ausbau absolut machbar ist, denn dort wird bereits 13 % der Elektrizität aus Windenergie produziert. Windenergie ist die ideale Ergänzung zu Solaranlagen im Mittelland sowie Wasserkraft,  wo das Produktionsmaximum im Sommer liegt.

In seinem Buch rechnet Anton Gunzinger verschiedene Szenarien durch. Er beschreibt, welche Schritte unternommen werden sollten (Gebäudepark ertüchtigen, Umstellung auf E-Mobilität und weitere Effizienzmassnahmen) und wo der Strom dafür herkommen soll, auch wenn die Schweizer AKWs nicht mehr in Betrieb sind. Die Basis für seine Szenarien liefert ein digitales Modell der Versorgung der Schweiz. Dieses Modell berechnet die Produktion über den Jahresverlauf sowie die Kosten der Versorgung. Das von ihm bevorzugte und den politischen Gegebenheiten angepasste Szenario zeigt: Wenn eine moderate Anzahl Windkraftanlagen für die Stromproduktion zugebaut wird, ist eine Umstellung machbar.  

Ein Überblick über die gängigsten Denkfehler.
Ein Poster mit einem Überblick über die gängigsten Denkfehler.

Die SVP lässt in ihrer “Zeitung” nicht nur Prof. Zütteln, sondern auch andere “Experten” zu Wort kommen. Diese vermeintlichen Expert*innen sind aber vielfach fachfremd oder gar keine Wissenschaftler*innen. Zusätzlich werden in Rosinenpicker-Manier Aussagen teilweise komplett aus dem Kontext gerissen. So wird suggeriert, dass jemand die SVP-Position schützt, obwohl das gar nicht der Fall ist. Durch die gezielte Auswahl kann die Gesamtaussage einer Person stark verfälscht werden. Hier die Beispiele aus der SVP-"Energie News":

Als gute Wahl für einen Fachexperten kann immerhin Prof. Züttel gelten. Seine Studie wird aber komplett verzerrt dargestellt und die Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen. Mit der Studie von Prof. Züttel und dem Umgang damit haben wir uns bereits ausführlich in den Abschnitten Rosienenpickerei und unerfüllbare Erwartungen beschäftigt.

Der emeritierte Professor Lino Guzzella ist immerhin Ingenieur und daher nicht komplett fachfremd. Seine Forschung hat sich aber vor allem der Optimierung von Verbrennungsmotoren gewidmet. Daher kann er nicht als Experte für erneuerbare Energien gelten. Bei seinem Zitat (“Mit den geplanten Veränderungen – Wärme und Mobilität elektrisch, Stilllegung der Kernkraftwerke, keine Importe, Photovoltaik als zentrale neue Stromquelle – würden der Schweiz in den Wintermonaten etwa 50 Prozent Strom fehlen.”) wird wieder auf den Trick der unerfüllbaren Erwartungen gesetzt, gemischt mit einer Portion Rosinenpickerei.

Prof. Tobias Straumann ist Wirtschaftshistoriker. Er wird in der SVP-”Zeitung” wie folgt zitiert: “Wir brauchen viel mehr Strom. Mit den erneuerbaren Energiequellen schaffen wir das nicht.” Ein*e Wirtschaftshistoriker*in ist nicht geeignet, um technische Fragen als Expert*in zu beantworten. Dafür sollte man besser z.B. die Expert*innen der ETH und der TU Delft aus einem relevanten Fachgebiet zu Wort kommen lassen. Und die sagen etwas anderes. In einer Studie zeigen die Wissenschaftler*innen auf, dass es eine Vielzahl von Möglichkeiten gibt, wie Europa (inklusive Schweiz) die Energiewende schaffen kann. Aus dieser Studie:

“Most studies to reach European carbon-neutrality focus on one or a few economically “optimal” scenarios, suggesting that only these system design options exist. We show a diversity of untold options to meet all energy demand based on renewable energy, with a complete phase-out of oil and gas imports”.

Zu Deutsch heisst das: Die meisten Studien zur Erreichung der Kohlenstoffneutralität in Europa konzentrieren sich auf ein oder einige wenige wirtschaftlich "optimale" Szenarien und suggerieren, dass nur diese Optionen für die Systemgestaltung existieren. Wir zeigen, dass es unzählige Möglichkeiten gibt, den gesamten Energiebedarf auf der Grundlage erneuerbarer Energien zu decken und dabei vollständig auf Öl- und Gasimporte zu verzichten.

Tobias Habegger von der BKW Energie AG ist ein Mediensprecher und Journalist. Mit seinen Aussagen wird der Eindruck erweckt, dass die BKW sich gegen den Ausbau der erneuerbaren Energien ausspricht. Er wird wie folgt zitiert: “Die Energiewende findet im Stromnetz statt. Der dafür nötige Netzausbau kostet jeden einzelnen Strombezüger in ländlichen Gebieten spürbar mehr als in den Ballungszentren.” Es ist richtig, dass die Stromnetze für die Energiewende angepasst werden müssen, wie es die BKW erklärt. Doch die Aussage ist nicht als Problem gemeint. Die BKW sieht die Chancen einer wirtschaftlich attraktiven Energiewende. Sie rügt das Vorgehen der SVP, da ihre Position komplett verdreht wurde.

Manchmal ist Desinformation auch offensichtlich. So zum Beispiel, wenn ein Zitat im SVP-Blatt von Dr. André Dosé stammt, dem Präsidenten von Swissgas. Er ist Profiteur unserer Abhängigkeit von fossilen Energieträgern. Als Experte ist er aufgrund seiner Befangenheit nicht geeignet.

Auch gewisse AKW-Befürworter*innen positionieren sich gegen erneuerbare Energiequellen. Ein weiteres Zitat in der SVP-”Zeitung” stammt vom Geophysiker Dr. Georg Schwarz. Er war im Bereich Kernkraftaufsicht tätig. Erneuerbare Energien können AKWs überflüssig machen, daher reicht die Opposition mancher AKW-Freund*innen. Ob Atomkraft oder nicht – auch Georg Schwarz ist keine unbefangene Stimme, wenn es um das Klimaschutzgesetz geht.

Christoph Mäder, Präsident von economiesuisse, wird in der "Energie News" als Gegner des Netto-Null-Ziels dargestellt. Er äussert sich aber dezidiert für die Erreichung von Netto-Null bis 2050 und hält das auch für erreichbar. Auch economiesuisse wehrt sich gegen das Vorgehen der SVP. Als Anwalt ist Christoph Mäder übrigens auch kein geeigneter Experte für das Thema Energiewende.

Elias Vogt, Präsident Freie Landschaft Schweiz, erzählt, dass der Verband “Suisse Éole” in der Schweiz Windräder bauen will, obwohl diese kaum Strom produzieren. Er verweist dabei auf die Auslastung der Windenergieanlagen. Bei dieser Kennzahl geht es darum, wie viele Stunden im Jahr eine Windkraftanlage die installierte Maximal-Leistung abgibt. Das heisst aber nicht, dass die Produktion zu anderen Zeitpunkten gleich 0 ist. Oft arbeiten Windturbinen im Teillastbetrieb, das ist ganz normal. Die Betrachtung der Vollauslastung als einzigen Faktor ist wenig zielführend und manipulativ.

Zusätzlich erzählt Elias Vogt auch die weiteren üblichen Verschwörungsmythen des Vogel- und Fledermauskillers Windenergie. Kollisionen mit Vögeln sind bedauerlich, aber im Vergleich zu den anderen Gefahren für Vögel wie Klimawandel, Autos, Fensterscheiben, Katzen und anderen Jägern komplett unbedeutend. Windenergie rettet vielen Vögeln auf lange Sicht das Leben, indem sie dazu beiträgt, Netto-Null zu erreichen. Ausserdem wurden Autos auch nicht verboten, als man merkte, dass es Unfälle gibt. Sondern es wurden Massnahmen getroffen, um Autos und den Verkehr sicherer zu machen.

Frau Martullo-Blocher bringt im SVP-Blatt auf, dass Windenergieanlagen vor allem aus China stammen. Das stimmt schlicht nicht. Die in der Schweiz eingesetzten Modelle stammen vom führenden Hersteller Vestas aus Dänemark sowie von Enercon aus Deutschland (siehe Karte der Windparks). Bei den Solaranlagen dominiert China den Markt, bei Windenergie ist das aber inkorrekt.

Es ist per se auch ökologisch sinnvoll, dass Photovoltaik-Module in dem Land produziert werden, wo heute die grössten Solaranlagen installiert werden, wo also der grösste Abnehmermarkt dafür ist (sprich China). Zukünftig braucht es mehr Arbeitsteilung. In Europa werden neue Kapazitäten für Solarmodule, aber auch Autobatterien aufgebaut. Die aktuelle Abhängigkeit von China ist eine primär politische, aber lösbare Versorgungsfrage.

Es ist haarsträubend, aber selbst an Verschwörungserzählungen bedient sich die SVP in ihrer “Zeitung”. So identifizieren die Autoren der "Energie News" eine Gruppe von Leuten, die der Schweiz Böses wolle: Die links-grüne Elite.

Eine links-grüne Elite wolle mit dem Klimaschutzgesetz die Natur und den Tourismus opfern, so beschreibt die "Energie News" die Lage. Das Narrativ von Veränderung als Verschandelung eines mythologisierten Urzustands durch böse Kräfte wird bedient.

Auch diese Erzählung macht absolut keinen Sinn, denn durch den Klimawandel wird die Biodiversität sowie die Natur in ganz Europa und auch der Schweiz massiv leiden. Wenn der letzte Gletscher abgeschmolzen ist, die Wälder vertrocknet oder abgebrannt sind, wenn kein Schnee mehr auf den Skipisten liegt, dann gibt es keine Basis mehr für einen Naturtourismus in der Schweiz. Graubünden Tourismus befürwortet aus Nachhaltigkeitsgründen neue Windparks in Graubünden. Es gibt genügend geeignete Standorte, die bereits mit Seilbahnen und Stromtrassen verbaut sind. Da stören Windenergieanlagen überhaupt nicht – im Gegenteil, sie versorgen Seilbahnen und Bergbahnen gleich mit lokaler erneuerbarer Energie.

Zudem wird mit der “links-grünen Elite” ein “wir Armen, Machtlosen gegen sie Reichen, Mächtigen” beschworen. Dabei  wird dieses Gesetz keineswegs nur von links-grün, sondern von einer ausserordentlich breiten Allianz getragen. Auch bürgerliche Parteien wie die FDP sowie die Wirtschaft, wie auch der Bauernverband, sind für eine Annahme des Gesetzes zum Schutz der Zukunft der Schweiz.

verschwörung symbolbild alien

Ein zentrales Mittel, um Desinformation zu erkennen, liegt darin, die Quelle der Aussage zu prüfen und die Qualität der Information zu beurteilen. Bei ausgeklügelten Desinformationskampagnen bedarf es aber unter Umständen Recherche- und Faktencheck-Organisationen, um die Manipulation zu entlarven. Mit dem Aufkommen von künstlicher Intelligenz wird sich Desinformation – und Anti-Desinformation – weiter rapide entwickeln. Dennoch gibt es ein paar Anhaltspunkte, die dabei helfen können, Desinformation zu erkennen. Und voraus: Ja, das gibt manchmal zu tun. Es ist weniger praktisch, es ist weniger einfach. Aber im Zweifelsfall lohnt sich der Aufwand für unsere Demokratie, für unsere Zukunft.

Liegt der Originaltext vor?

“Rund 74 % aller Zitate aus Studien sind erfunden”, sagt Prof. Paul Ettinger von der Universität Zürich (so wie auch dieses erfunden ist). Wird aus einer Studie zitiert, diese aber nicht verlinkt oder nicht im Original verlinkt, ist Vorsicht geboten. Es empfiehlt sich in so einem Fall, die Studie durch eine Internet-Recherche zu suchen und im Original zu lesen. Viele Studien sind öffentlich zugänglich.
Wird auf eine Zusammenfassung verwiesen, kann die ursprüngliche Information in der Zusammenfassung massiv verfälscht worden sein.

Wer hat geschrieben und geprüft?

Wenn auf Expert*innen verwiesen wird, dann sollte ihr Lebenslauf geprüft werden. Ist die Fachperson relevant im Themenfeld, um das es geht? Arbeitet sie für eine Lobbyorganisation? Eine einfache Internetrecherche oder eine Recherche bei einem Berufsnetzwerk wie LinkedIn erlaubt es meist, in kurzer Zeit einen ersten Anhaltspunkt zu erhalten.

Wenn es darum geht, Studien zu beurteilen, sollte neben der Autor*innenschaft auch geprüft werden, ob sie dem wissenschaftlichen Standard genügt und von Expert*innen aus dem Fachgebiet gegengeprüft wurden. Auch die Institution kann Aufschluss über die Qualität einer Studie geben. Vor- oder Teilveröffentlichungen deuten darauf hin, dass die Information potentiell nicht vertrauenswürdig ist (z.B. kann es sein, dass Rechenfehler noch nicht erkannt wurden).

Welche Annahmen wurden getroffen?

Es ist für Laien oft nicht möglich, die Methoden einer Studie zu prüfen. Ein Weg, eine Einschätzung machen zu können, ist der Blick auf die getroffenen Annahmen. Sind diese Annahmen sinnvoll? Wurden Vereinfachungen angewendet oder sonst merkwürdige Annahmen getroffen? Die Prüfung der Annahmen kann Aufschluss über die Aussagekraft einer Studie geben.

Gibt es ähnliche Studien?

Gibt es ähnliche Studien, die zu einem ähnlichen Schluss kommen, oder handelt es sich gar um eine Metastudie, kann eher davon ausgegangen werden, dass die Aussagen Hand und Fuss haben. Falls die Aussagen einer Studie dem aktuellen Stand der Wissenschaft massiv widerspricht, muss diese besonders kritisch hinterfragt werden. Es empfiehlt sich in einem solchen Fall, die Argumentationsketten auf Vollständigkeit und Verständlichkeit durchzugehen sowie abzuklären, ob logisch argumentiert wurde. Berechnungen sollten möglichst auf mathematische Fehler geprüft werden. Zusätzlich sollten die verwendeten Daten geprüft werden. Wird hier auf ein extrem kleines Datenset zurückgegriffen (z.B. wenige Probanden in medizinischen Studien)? Oder sind die Daten aus einer unzuverlässigen Quelle oder gar nicht zugänglich?

Bei vertrauenswürdigen Expert*innen nachfragen

Bei Unsicherheiten lohnt es sich auch, auf anerkannte Expert*innen im Themenfeld zuzugehen und ihnen Fragen zu stellen. Viele sind bereit, auf freundliche Anfragen einzugehen und neugierige Fragen über ihren Fachbereich zu beantworten. So kann man je nachdem auch unzuverlässige Informationen entkräften, denn Expert*innen können Informationen in den aktuellen Stand der Forschung einordnen.

Unsere Demokratie kann nur funktionieren, wenn auf ehrliche Art und Weise argumentiert wird. Desinformationstricks sind damit nichts Geringeres als ein unethischer Angriff auf das Fundament unserer Meinungs- und Entscheidungsfindungsprozesse.

Die Schweiz kann ihre Herausforderungen – sei es beim Klimawandel oder bei anderen Themen – nur meistern, wenn Fakten beachtet statt Fiktionen gepflegt werden. Für uns ist damit klar, was es zu tun gilt: gegen die Desinformationskampagne der SVP einstehen und den Gegner*innen des Klimaschutzes mit einem überwältigenden JA zum Klimagesetz am 18. Juni zeigen, dass wir uns nicht so schnell blenden lassen. Darum: “Go Go Vote!”


Dominic Ullmann

Verfasser: Dominic Ullmann, Co-Kampagnenleiter Klimagesetz

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