Fabio Wettstein

Wir Menschen im Dreiland

Ein Bericht über Grenzrealitäten

Ein Ausflug über drei Länder hinweg im letzten Sommer; eine Erinnerungen aus einer anderen Zeit. Sie wurde in Libero Fabio geweckt, als ihn über Social Media eine Nachricht aus Polen erreichte.

Es war im warmen Basler Sommer des letzten Jahres: Wir stiegen auf die Velos und fuhren los, raus aus der Stadt, an der Langen Erle vorbei, diesem schönen Uferwald entlang der Grenze,  Richtung Otterbach Grenze. Die Reifen unserer Räder zitterten kurz als sie vom Schweizer Veloweg auf den deutschen wechselten und wir nun die Trottoirs für unsere Zwecke nutzten. Vorbei am Shopping Rheincenter, das an diesem Tag wie immer von Menschen aus der Dreiländerregion gut besucht war, und dann hoch zum Vitra Design-Museum. Über Feldwege, an badischen Weinbergen vorbei, durch Wälder kamen wir schliesslich zum alten Rhein und der Isteiner Schwelle, ein Naturparadies auf Deutscher Seite des Rheins. Picknickend und die Füsse im Wasser baumelnd schauten wir rüber zur Île du Rhin und freuten uns schon jetzt auf den nächsten Stop, bei dem wir in einer Boulangerie ein Pain au chocolat essen werden. Über das Stauwehr beim Kraftwerk Kembs gelangten wir schliesslich nach Frankreich in die Petite Camargue Alsacienne und fuhren den Canal de Huningue entlang – die Räder rumpelten nun leicht wegen der kleinen Steinchen auf den Wegen. Kurz vor der Grenze ging es in Huningue vorbei am Parc Eaux-Vives, wo Kayakfahrer ihr Können zeigten, wo wir über die Passerelle des trois Pays zurück auf die andere Rheinseite, erst nach Weil am Rhein und schliesslich wieder in die Schweiz kamen. 

Letzter Sommer; eine Erinnerung aus einer anderen Zeit. Sie wurde in mir geweckt, als mich über Social Media eine Nachricht aus Polen erreichte. Maria, die mich damals auf der Velotour begleitete, schrieb: 

#corona wrecked some of my new year's resolutions, such as my #holidayplans, but hey - there are other days during the year to look back and ahead... and make #newplans.
On top of my #wishlist for #postpandemic times is
☀️ the chance for careless travels […]
☀️ tour d'europe through open borders to hug all the people I can only see on screens right now, including:
[…]
🌌 Schwimmfisch abholen [in Basel]”

Grenzenloses Reisen als Wunschliste für die Zeit nach Corona. Undenkbar momentan, wo Grenzposten besetzt, Grenzen mit rot-weissem Absperrband markiert sind und diese von sich langweilenden Soldaten in Puchs bewacht werden. 

So präsentierte sich nämlich die Lange Erle bei einem letzten Spaziergang. Ein Liebespaar, das durch ein Absperrband getrennt miteinander schwatzt, Jogger und Spaziergänger, die höchstens zu zweit unterwegs waren, andere, die sich alleine an der Wiese sonnten und dann und wann ein Tesla der Basler Polizei. 

Wir kamen uns vor wie im falschen Film, erzählten uns die neueste Horrorgeschichte von Drohnen, die einen verfolgen, wenn man trotzdem unberechtigterweise über die Grenze fährt, um von der Polizei abgefangen und gebüsst zu werden, von der Absurdität dieses Absperrbands zwischen den Liebenden und von der neu aufgekommenen Grenzschliessungsromantik – propagiert, basierend auf Mythen und Verklärung. Für reaktionäre -nationalistische Kreise ein Schritt in ihre Abschottungs-fantasie. Für uns ein Desaster. 

Es ist ein Zustand, der hoffentlich vorübergeht. Denn wer sich die jetzige Situation als Dauerzustand wünscht, hat keine Kenntnisse davon, wie die Grenzregionen der Schweiz mit dem Umland verwachsen und vernetzt sind. So schnell wie möglich, so langsam wie nötig sollte wieder gelockert werden. Forderungen der Basler Regierung, elsässischer Politiker und vieler badischer Bürgermeister wurden an die nationalen Regierungen übergeben, eine koordinierte Öffnung so bald wie möglich einzuleiten. Die Region braucht das und in einem grösseren Rahmen der ganze Schengenraum. Interessant ist der Vorschlag von foraus: Die Denkfabrik hat für die Öffnung vier Schritte (milestones) definiert, wie diese ablaufen könnte. Je nachdem wie gross die Kontrolle über die Pandemie (LC - level of control over the epedemic) und wie viele Menschen immun sind (LI - level of immunity) sollen sogenannte zones of trust definiert werden, in denen die Grenzen schrittweise geöffnet werden. Überzeugend für uns als Grenzregion ist, dass unseren spezifischen Bedürfnissen Rechnung getragen wird. So soll es im ersten Schritt möglich sein, dass die sich Liebenden und alle Familien über die Grenzen hinweg wieder vereint werden, sobald LC und LI es erlauben, die Region als zone of trust zu definieren.

Wir Menschen im Dreiland verstehen die Massnahmen wegen Corona und tragen diese mit, aber wir möchten möglichst bald unsere Freiheiten zurück, nicht nur der Wirtschaft willen, sondern auch um unsere Freunde und Familien wiederzusehen, für Velotouren im Dreiländereck und damit Maria endlich ihren Schwimmfisch abholen kann. 

Etwas wird in Zukunft bestimmt anders sein, offene Grenzen werden für eine gewisse Zeit keine Selbstverständlichkeit mehr sein, sondern eine wieder errungene Freiheit, die wir umso mehr geniessen und schätzen werden. Das hat auch etwas Gutes.

Fabio ist Vorstandsmitglied der Operation Libero Sektion Basel, Gymnasiallehrer und erlebt die Corona-Zeit hauptsächlich im Homeoffice und beim Fernunterricht, statt auf dem Velo im Dreiländereck.