KVI Banner

Faktencheck #4: “Alleingang Schweiz. Mit der Konzernverantwortungs-Initiative (KVI) manövriert sich die Schweiz international ins Abseits.”

FALSCH!

Petra Gössi

"«Können uns das nicht leisten»

Gössi fasst ihr Votum so zusammen: «Dieser internationale Alleingang schadet unserem Land, den Unternehmen und Arbeitsplätzen. In der aktuell wirtschaftlich schwierigen Zeit können wir uns dieses Hochrisikoexperiment nicht leisten.»"

Petra Gössi, Präsidentin der FDP. Die Liberalen

Quelle: 20min.ch

Die Entwicklung des Rechts in unterschiedlichen europäischen Ländern, sowie in supra- und internationalen Organisationen zeigt: Der Trend geht ganz klar in Richtung mehr Konzernverantwortung. Bei der KVI handelt es sich nicht um einen Schweizer Alleingang. Im Gegenteil: Mit der Annahme der KVI würde die Schweiz rechtzeitig auf diese Entwicklungen reagieren und hätte so noch die Möglichkeit, die internationale Ausgestaltung von Regeln zur Konzernverantwortung pragmatisch mitzugestalten.

1. England

Direkte Fahrlässigkeitshaftung aufgrund faktischer Kontrollbeziehungen zwischen Unternehmen ist ‘überhaupt nichts neues’ (O-Ton Lord Briggs in Vedanta v Lungowe)

Vor allem in den angelsächsischen Ländern, die selbst Hauptsitze vieler multinationaler Grosskonzerne sind, haften Unternehmen bereits heute direkt für Rechtsverletzungen durch von ihnen kontrollierte Unternehmen. (siehe David Brian Chandler v Cape plc [2012] England and Wales Court of Appeal Civil Division 525). In Grossbritannien entschied der Oberste Gerichtshof beispielsweise vergangenes Jahr, dass ein englischer Konzern für die Umweltschäden, die ein sambisches Tochterunternehmen mit seiner Kupfermine verursachte, unter der gewöhnlichen Fahrlässigkeitshaftung zu rechtlicher Verantwortung gezogen werden kann (Vedanta Resources Plc and Konkola Copper Mines Plc (Appellants) v Lungowe and Ors. (Respondents) [2019] UKSC 20). Diese Regeln umfassen faktische Nähe- und Kontrollbeziehungen und damit nicht nur Tochterunternehmen, sondern wohl auch Lieferantenverhältnisse. Das heisst, auch wenn ein Unternehmen beispielsweise ausgelagert, aber vertraglich an einen Konzern gebunden wird, haftet der Konzern. Lord Briggs, der Richter, der für den Obersten Gerichtshof das Urteil verfasste, meinte dazu ganz trocken, dass die zivilrechtliche Haftung innerhalb faktischer Nähe- und Kontrollbeziehungen “überhaupt nichts Neues” sei (“not novel at all”, para. 54).

2. Kanada

Mögliche direkte Haftung aus Völkergewohnheitsrecht

Im Februar 2020 entschied der Oberste Gerichtshof von Kanada, dass aus der Verletzung von zwingendem Völkergewohnheitsrecht eine unmittelbare zivilrechtliche Unternehmenshaftung fliessen könnte (Nevsun Resources Ltd v Araya, 2020 SCC 5). Der Entscheid geht auf eine Klage dreier eritreischer Flüchtlinge gegen das in Vancouver ansässige Rohstoffunternehmen Nevsun Resources aus dem Jahr 2014 zurück. Die Kläger behaupten, dass sie und 1000 weitere Menschen zwischen 2008 und 2012 im Rahmen des lebenslangen eritreischen Nationaldienstes gezwungen wurden, unter höchst inhumanen Bedingungen in der Goldmine Bisha zu arbeiten. Der oberste kanadische Gerichtshof hielt im Entscheid fest, dass das Völkerrecht in den letzten 70 Jahren einen Wandel von einem „staats-zentrierten“ zu einem “menschen-zentrierten“ System durchgemacht hat. Die menschenrechtlichen Normen des Völkerrechts seien nicht als theoretische Bestrebungen oder rechtlicher Luxus gedacht gewesen, sondern als moralischer Imperativ und rechtliche Notwendigkeit. Folgerichtig öffnete er die Tore der kanadischen Justiz für eine Sammelklage von über 1000 Eritreer*innen gegen das kanadische Rohstoffunternehmen Nevsun Resources (in diesen Woche wurde das seit über fünf Jahre laufende Verfahren mit einem aussergerichtlichen Vergleich beendet – die Höhe der erfolgten Kompensation ist vertraulich).

3. Frankreich

Gesetzliche Sorgfaltsprüfungspflicht mit Haftung seit 2017

Frankreich kennt seit 2017 das sogenannte ‘Loi de Vigilance’. Dieses Gesetz verpflichtet französische Konzerne dazu, menschenrechtliche Risiken zu identifizieren und beseitigen. Sie müssen dazu jedes Jahr einen Sorgfaltspflichtenplan veröffentlichen, in welchem sie die Schritte auflisten, die sie im vergangenen Jahr im Bereich Menschenrechte und Umwelt unternommen haben. Kommt ein Konzern diesen Pflichten nicht nach, kann jede Person mit einem begründeten Interesse (“à la demande de toute personne justifiant d'un intérêt à agir”) bei einem Gericht die Durchsetzung erwirken. Die Konzerne haften, wenn sie diese menschenrechtliche Sorgfaltspflichtprüfung nur ungenügend durchführen und es daher zu einem Schaden an Mensch oder Umwelt kommt.

4. Niederlande

Sorgfaltsprüfungspflicht im Bereich Kinderarbeit mit Sanktion und Strafverfahren

Im Mai letzten Jahres verabschiedete das niederländische Parlament ein Sorgfaltspflichtsgesetz zur Verhinderung und Bestrafung von Kinderarbeit in globalen Wertschöpfungsketten (wet zorgplicht kinderarbeid). Das Gesetz verpflichtet Unternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen an niederländische Konsument*innen verkaufen, dazu, das Risiko von Kinderarbeit in ihren Wertschöpfungsketten zu prüfen. Dies ist bemerkenswert: Denn das Gesetz umfasst nicht nur niederländische Unternehmen, sondern alle Unternehmen, die irgendwie auf dem niederländischen Markt aktiv sind. Unternehmen müssen in einer einmaligen öffentliche Erklärung zum Risiko der Kinderarbeit Stellung beziehen und diese Erklärung bei einer Ausichtsbehörde hinterlegen. Im Fall von Kinderarbeit oder einer Verletzung der vorgesehenen Sorgfaltspflichsprüfung kann die Regulierungsbehörde auf Beschwerde hin eine Busse verhängen. Falls ein Unternehmen innerhalb von fünf Jahren zweimal gebüsst wird, droht der Geschäftsführerin oder dem Geschäftsführer eine Gefängnisstrafe.

5. Trend

Konkrete Gesetzesprojekte in europäischen Ländern und der EU

Auch die deutsche Regierung arbeitet aktuell an einem Lieferkettengesetz, das ähnlich der KVI sowohl eine Sorgfaltspflicht als auch eine zivilrechtliche Haftung vorsieht. Des Weiteren hat die finnische Regierungsich in ihrem offiziellen Regierungsprogramm dazu verpflichtet, menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Konzerne gesetzlich festzuschreiben. Ferner hat die EU-Kommission unter der Präsidentschaft von Deutschland im Mai 2020 angekündigt, dass sie EU-weite Vorschriften zu der Sorgfaltspflicht von Unternehmen in den Bereichen Menschenrecht und Umwelt entwickeln wird. Portugal, das Land, das die nächste EU-Präsidentschaft innehaben wird, hat sich bereits öffentlich dazu bekannt, diese regulatorischen Bemühungen weiterzuführen. In weiteren europäischen Ländern setzen sich NGOs, Parlamentarierinnen und Gewerkschaften dafür ein, dass ihre Regierungen Gesetze zur Verantwortung von Konzernen erarbeiten. Darunter Grossbritannien, die Niederlande, Österreich, Dänemark, Luxemburg, Norwegen und Schweden.

Fazit

Die KVI ist Teil eines internationalen Trends hin zu mehr Konzernverantwortung. Im Gegensatz zu den Bestrebungen in anderen europäischen Ländern schafft sie aber keine zusätzliche Bürokratie, basiert auf einem wirtschaftlichen und rechtlichen Anreizsystem und führt keine neuen strafrechtlichen Bestimmungen ein –  schützt damit die Verantwortlichen eines Unternehmens. Unternehmerische Freiheit und gesellschaftliche Verantwortung gehen Hand in Hand, im Ausland genauso wie in der Schweiz.