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Die AfD hat mehr gewonnen als nur 13 Prozent

Wie man die AFD nicht noch grösser macht.

Nach den Bundestagswahlen in Deutschland geht es ums Ganze. Und es liegt an den Parteien, nicht länger dem Ton und den Themen der AfD zu folgen und sie damit grösser zu machen als sie ist. 

In einem Punkt waren sich Alexander Dobrindt (CSU) und Sarah Wagenknecht (DIE LINKE) gleich nach den Bundestagswahlen einig: Schuld an der ganzen Misere seien nur diese Flüchtlinge. Es waren nur zwei von unzähligen Kommentaren, die am Sonntag gegeben wurden. Aber sie stehen für etwas essentielles: Demagogische Vereinfacher, manchmal auch Populisten genannt, und chronische Verantwortungsflüchtlinge gibt es offenbar nicht nur in der sogenannten Alternative für Deutschland (AfD), sondern auch in anderen deutschen Parteien. Und sie machen ebendiese AfD grösser als sie eigentlich ist. 

Die traditionellen Parteien tragen, neben skandalheischenden Medien, ihren Anteil daran, dass die AfD weit mehr an Einfluss gewann als nur 13 Prozent: Wenngleich die Rechtspopulisten noch weit vom Griff nach der Macht entfernt sind, so haben sie in den vergangenen Jahren und Monaten die Debatten geprägt und die Themen bestimmt. Die immer offener als völkisch-nationalistische Partei auftretende Formation bestimmte den Ton und die Inhalte des Wahlkampfes. Alle anderen Akteure hechelten hinterher und reproduzierten die Thesen der AfD, indem sie über praktisch jedes Stöckchen sprangen, welches diese ihnen hin hielt.
 
Zentrales Thema dieser Bundestagswahlen 2017 war die Flüchtlingskrise von 2015. Eben jene Flüchtlingskrise, die das ökonomisch boomende Deutschland erwiesenermassen nicht in Not, Chaos und Armut stürzte und zudem seit Monaten, mit einem moralisch durchaus fragwürdigen Abkommen mit Erdogans Türkei,  als überwunden gelten konnte.  Die AfD schaffte es, dieses Themenfeld zum Katalysator ihres Erfolges zu machen – erschreckend professionell und indem sie gezielt die rhetorische und inhaltliche Nähe zur Zeit des Nationalsozialismus zumindest in gewissen Teilen des Landes weitgehend enttabuisiert hat: Die Wahlergebnisse in Teilen Ostdeutschlands nähern sich langsam denen im Rest Osteuropas an. Autoritäre Politikvorstellungen sind nicht nur in Polen und Ungarn auf dem Vormarsch, sondern auch in Brandenburg und Sachsen. 

Die Lage ist also ernst. Und die grosse und bestimmende Frage wird also sein, wie die Parteien damit umgehen werden. 

  • Merkel: Das Beste daraus machen
    Angela Merkel bestritt die Wahlkampagne präsidial und inhaltsleer. Allein, dass viele Wähler in unruhigen Zeiten immer noch eine ruhige und erfahrene Hand schätzen, hat ihr ermöglicht, eine relative Mehrheit zu erringen. Eine Regierungsbildung ist nur mit der CDU denkbar. Frau Merkel sitzt also trotz erheblichen Verlusten noch immer fest im Fahrersitz. Da sie in vier Jahren aber ziemlich sicher nicht mehr antreten dürfte, befindet sich ihre Macht seit dem Tag nach der Wahl im Schwinden. Sie weiss darum und wird das Beste daraus machen. Für Europa ist diese Aussicht auf Stabilität eine gute Nachricht.
  • Grüne: In der Verantwortung
    Für die Grünen kam es weniger schlimm als anlässlich der Flügelkämpfe befürchtet wurde, doch die Partei ist noch immer zerrissen. Das Führungsduo aus Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt ist beschädigt und hat nun die an der grünen Basis unpopuläre Aufgabe, gemeinsam mit CDU, CSU und der FDP nach Möglichkeiten für ein gemeinsames Projekt zu suchen. Die Grünen haben die letzte Legislaturperiode vergeben, sie waren keine effektive Opposition. Sie haben nun die Chance, staatspolitische Verantwortung wahrzunehmen und inspirierter Treiber einer spannenden Ideenwerkstatt der politischen Mitte zu werden. 

  • SPD: Ab in die Opposition
    Die traditionsreiche deutsche Sozialdemokratie hat ein historisch schlechtes Verhältnis eingefahren und nach buchstäblich allen Seiten verloren. Zwar verlor man keine Wähler an die Union, doch 500.000 Wähler an die AfD, 400.000 an die Grünen, 380.000 an die Linkspartei, 310.000 an die Nichtwähler und 430.000 Stimmen an die liberale FDP. Dass die SPD nun jede Beteiligung an einer neuen „Grossen Koalition“ ausgeschlossen hat ist zwar nicht sehr staatstragend, aber nur folgerichtig.Im letzten Bundestag gab es praktisch keine Opposition zur Grossen Koalition. Auch das gehört zu den Ursachen des Erfolgs der AfD.   

  • FDP: Auf Bewährung
    Die Freien Demokraten haben ihren Erneuerungsprozess mit einem Wahlergebnis von 10 Prozent gekrönt, einen stärkeren Zuwachs gab es für die Liberalen nie. Nach Jahren der Ausserparlamentarischen Opposition sind sie nun „auf Bewährung drinnen“. Die Partei hat hart und methodisch an sich gearbeitet – und dabei ein modernes liberales Leitbild entwickelt. Das ist gut. Wie dringend eine starke liberale Partei im Kampf für ein demokratisches Deutschland gebraucht wird, wird manch einem politischen und medialen Akteur aber wohl erst in ein paar Monaten oder Jahren aufgehen.

Die Comeback-Kids der FDP aber auch die restlichen Parteien stehen seit Sonntag in der Pflicht:  Sie werden die deutsche Demokratie in ihrem Allerheiligsten, dem Parlament, gegen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus, gegen Geschichtsklitterung und pure Menschenverachtung – welche nun in Fraktionsstärke in den Bundestag einmarschiert ist – verteidigen müssen. Spätestens mit dem Wahlergebnis von Sonntag beginnt der aktive Kampf für Freiheit, Offenheit und Demokratie hat jetzt begonnen. Beziehungsweise: Er muss spätestens jetzt beginnen. Denn es geht um viel, vielleicht um alles. Die Parteien tun darum gut daran, diesem Angriff von rechts aussen selbstbewusst eigene Werte und Inhalte entgegenzustellen, statt weiter über Stöckchen zu hüpfen, wollen sie denn die AfD nicht noch grösser machen.
 
Philipp von Brandenstein ist Vorstandsmitglied der Operation Libero sowie Politikwissenschaftler und Kommunikationsberater. Er lehrt derzeit an der PHW Bern.