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Vier Etappen zur 4/4 Demokratie

Wahlen sind ein zentrales Instrument unserer Demokratie. Dieses Instrument ist aber stark angeschlagen, wenn rund ein Viertel der ständigen Wohnbevölkerung nicht wahlberechtigt ist. Was braucht es zu einer vollwertigen Demokratie? Eine Spurensuche.

Am 22. Oktober finden die eidgenössischen Wahlen statt. Wahlen sind eines der wichtigsten Elemente einer Demokratie, um nicht zu sagen, das Herzstück überhaupt. Denn sie bieten den Bürger*innen die Möglichkeit, sich durch Bestimmung von Mandatstragenden aktiv die politischen Entscheidungsfindungen eines Landes zu beeinflussen. Ihre politische Macht als Souverän auszuüben. Die Instrumente wie Volksinitiativen und Referenden dienen als Hirn einer Demokratie, um bei den organischen Analogien zu bleiben. 

Die Schweiz darf stolz sein auf ihre demokratischen Partizipationsmöglichkeiten, die Bürger*innen zu ihren aktiven Gestaltenden der politischen Agenda machen, zu ihrem politischen Souverän. Doch leider hat das Musterkind Schweiz auch 2023 noch keine vollständige Demokratie erreicht.

Klar - die direkte Demokratie der Schweiz ist lobenswert - so weit, so unbestritten. Und Demokratie bedeutet nichts weniger als Volksherrschaft: Die politische Macht geht vom Volk aus. 1848 zeichnet sich die Schweiz mit einer der modernsten demokratischen Verfassungen in Europa aus. Mit zwei gleichberechtigten Kammern im Parlament, dem parlamentarischen Initiativrecht, einem ausgeprägten Föderalismus, Grundrechten und der Gewaltenteilung werden viele wichtige Elemente eingeführt, die bis heute bestehen. Vor allem aber erhalten 1848 auf einen Schlag sehr viele Menschen politische Partizipationsrechte: Alle auf dem Schweizer Staatsgebiet, unabhängig vom Kantonsbürgerrecht, sind nun der Souverän. Ein starker Demokratieschub. Wirklich alle? Leider nein. Nur ein kleiner Teil der Schweizer Bevölkerung erhält dieses Privileg: Es sind lediglich Männer, ab 20 Jahren, christlichen Glaubens - und mit einem gewissen Wohlstand. Die Liste der Gründe hingegen, weshalb man das Stimm- und Wahlrecht verlieren kann, ist bunt: psychische Gesundheit, strafrechtliche Verurteilung, Konkurs, Sittenlosigkeit, Bettlerei, usw. finden sich auf ihr. Inwiefern man bei dieser eingeschränkten Gruppe Wahlberechtigter von “Volksherrschaft” sprechen konnte, ist fraglich. Aber es ist ein erster, und ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Oder um eine blumige Analogie zu ziehen: Als die ersten Geranien von Südafrika in die Schweiz kamen, war ein Zürcher in Genf ein Fremder ohne Partizipationsrechte. Nun gehören die Blumen vor dem Fenster so selbstverständlich zur Schweiz, wie der Zürcher seit 1848 sein Stimmrecht auch in der Westschweiz ausüben kann.

Ein weiteres wichtiges Merkmal von Demokratien: es sind dynamische Konstrukte. In einer gesunden Demokratie finden (oft in kleinen Schritten) gesellschaftliche Evolutionen und Veränderungen ihren Ausdruck: Die Bundesverfassung wird um das direktdemokratische Instrument der Volksinitiative und einige Artikel erweitert, der Kreis der Stimm- und Wahlberechtigten vorsichtig ausgedehnt (z.B. erhalten auch Schweizer Juden politische Partizipationsrechte). 


Das Volk ist souverän und übt seine politische Macht mittels Stimm- und Wahlrecht aus, doch wer politische Partizipationsrechte ausüben darf, das wird in einer lebendigen Demokratie immer wieder neu ausgehandelt. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Einführung des Ausländer- und Frauenstimmrechts debattiert. Mit der Einführung des nationalen Stimm- und Wahlrechts für Schweizerinnen 1971 wurde die Gruppe derjenigen, die politische Partizipationsrechte ausüben können, ein weiteres Mal schlagartig erweitert – und damit ein grosses Demokratiedefizit behoben. Ungeachtet der Tatsache, dass dieser Schritt schon Jahrzehnte früher hätte stattfinden müssen, ist es aus heutiger Sicht ein nicht haltbares Demokratiedefizit, dass die Hälfte der Schweizer Bevölkerung von der politischen Teilnahme ausgeschlossen war.

Die Demokratie soll und muss sich immer der Gesellschaft anpassen, die sie vertritt. Trotz ihrer notorischen Trägheit tut dies auch die Schweizer Demokratie: Es gab eine Zeit, da durften Lehrerinnen ihren Beruf nach der Heirat nicht mehr ausüben, verloren sie die Schweizer Staatsbürgerschaft bei einer Heirat mit einem Ausländer und politisch teilnehmen durften sie, wenn überhaupt, vor 1971 erst auf Gemeinde- oder Kantonsebene. Ganz in der föderalistischen Tradition der Schweiz gibt und gab es schon immer Unterschiede zwischen den Kantonen und dem Bund: In den Kantonen Waadt und Neuenburg durften Frauen mit der Schweizer Staatsbürgerschaft bereits 1959 auf kantonaler Ebene wählen und abstimmen, während Schweizerinnen in Appenzell-Innerrhoden noch bis 1991 auf das kantonale Partizipationsrecht warten mussten. Wer die Schweizer Staatsbürgerschaft überhaupt erlangen kann und welche Bedingungen dabei gelten, wurde zwar in der Vergangenheit immer wieder angepasst, unterscheidet sich aber bis heute stark von Kanton zu Kanton.

Die Demokratie soll und muss sich immer weiter wandeln. Politik ohne Erneuerung bedeutet auch gesetzlichen Stillstand – Gesetze basieren auf einem Abbild eines Rechtsverständnisses und einer Gesellschaftsordnung der Vergangenheit. Mit der Einführung des Frauenstimmrechts schliesst die Schweizer Demokratie nun zwar den grössten Teil der Bevölkerung in politische Entscheidungsfindungen ein. Dennoch bleiben erhebliche Demokratiedefizite: Unter der aktuellen, uneinheitlichen und teils willkürlichen Einbürgerungspraxis werden weiterhin ein Viertel der hier lebenden Menschen ausgeschlossen. Ein Viertel, der hier lebt, liebt, arbeitet, Steuern bezahlt, teilweise hier geboren. Dieser Teil der Gesellschaft gehört nicht zum souveränen Volk. Die Schweiz darf zu Recht stolz auf ihre Verfassung sein. Aber es gehört zu einer lebendigen Demokratie dazu, diese stetig zu hinterfragen und zu erweitern, damit sie dem Begriff “Demokratie” gerecht wird.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wie sieht eine Demokratie ohne Demokratiedefizit aus? Also eine vollständige 4/4-Demokratie? Diesen Teil, also das vierte Viertel, gibt's erst zu lesen, wenn die Schweiz eine vollständige Demokratie ist. Frustrierend, oder? Sei dabei bei der Demokratie-Initiative. 

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Autor*innen: Judith Schenk, Annina Fröhlich und Nicolas Willimann

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